27.01.–25.03.2001

A Huge Ever Growing Pulsating Brain That Rules From the Centre of the Ultraworld (the Orb, 1991)

Vidya Gastaldon & Jean-Michel Wicker

Das französische Künstlerpaar Vidya Gastaldon (1974, lebt in Genf) & Jean-Michel Wicker (1970, lebt im Elsass und in London) verstehen den Albumtitel der Musikgruppe Orb als Metapher für und als Einstieg in eine Annäherung an ihr Werk. Frei übersetzt müssen wir uns ein riesiges, stetig wachsendes und pulsierendes Gehirn vorstellen, das jenseits der materiellen, sichtbaren Welt Wirkungen erzeugt.
Vidya Gastaldon & Jean-Michel Wicker arbeiten seit 1994 zusammen und ihre Filme, Zeichnungen, Wandmalereien und Objekte, ihre Installationen, Musikproduktionen oder narrativen Szenarios sind in der Tat durchwirkt von heterogenen Informationen, Codes und Wirklichkeitsformen.
Auffälligstes Merkmal der Arbeiten Gastaldon&Wickers ist eine Bastelbazar-, Jugendzimmer-Ästhetik, die von exzessiven Strick-, Applikations- und Knüpftechnikverwendungen herrührt, mit denen die Künstler abstraktes, minimalistisches oder allgemeiner modernistisches Vokabular verschönern, umgarnen, tarnen, verunreinigen und mit einer Art Posthippie Mystizismus in die private Atmosphäre des glückvoll Selbstgemachten überführen.
Die von den Künstlern genannten Referenzsysteme sind vielfältig und breit gestreut: Abstract-Electronic-Musik gehören ebenso zu ihrem Universum wie Science-Fiction Filme, Schriften von Timothy Leary, Terence McKenna und Deleuze/Guattari, utopische Entwürfe der Architekturgeschichte wie die Case Study Houses und die Arbeiten von Archigram, gutes Design ebenso wie Positionen der Kunstgeschichte: Niki de St. Phalles Picknicks in Kalifornien, Robert Smithsons Texte und frühe Arbeiten und Dieter Roths Schokoladen-Arbeiten und die ihnen nur als Photos bekannten Isländer Wollwandreliefe.
In zeit- und materialaufwendiger Handarbeit emotionalisieren und privatisieren die Künstler den Remix unterschiedlich-ster Elemente aus Hoch- und Subkultur zu Landschaften, die sowohl die Dimensionen bekannter Begriffe wie die Dimensionen räumlicher und zeitlicher Erlebbarkeit aufheben: Wollquasten wachsen zu gigantischen Objekten (Grand Large Beige, 1999) oder evozieren als Gruppe in einem an minimalistische Installationsverfahren angelehnten Ensemble das romantische Bild einer Naturlandschaft (Psychic Landscape, free form (out of screen), 1998). 58 Kuben aus Hightech-Materialien mit 14 Extras in Wollmakramee und malerischen Dekorationen (Chocolate Explosion, 2000) transformieren die klare Zuordnung der Objekte zu einem Spielkastensystem, indem das elementare Formenvokabular der abstrakten Kunst, architektonische Landschaften und der Wechsel von gross zu klein andere Erzählungen gene-rieren. Panther- und Ponydarstellungen als Stoffapplikationen und Wollverspannungen variieren das künstlerische Vokabular der Wandmalerei, Filme und Musik versetzen den Betrachter in die Atmosphäre eines nicht-logischen Wahrnehmungsraumes und der «Schizo-Dark-Psyche».
Gastaldon&Wicker befragen mit ihren Überlagerungen und Vermischungen von Stilen, Zeiten und Materialien die utopische Atmosphäre des globalisierten Gleichzeitigen und Allgegenwärtigen und die Geladenheit der Realität mit gegebenen Materialisierungen und vorgestellten Bedingungen.
Ihre Zusammenarbeit parallelisiert dabei ihr formales und stilistisches Feld: Sie arbeiten örtlich getrennt und verbinden individuell erarbeitete Teile zu einer Raum, Zeit und Materialität überwindenden neuen Projektion einer «psychogeo-graphischen Landschaft», die jenseits der Glorifizierung oder Ironisierung von modernistischen Utopien oder romanti-sierenden Vorstellungen des Authentischen eine Frage nach der Beziehung zu den Objekten unserer Realität stellt.

KUNSTHAUSGLARUS signum SMALL 11 12 10 9 8 7 6 5 4 31 2 1