10.2. – 5.5.2013
Adrien Missika A Walk in the Park
Adrien Missika (*1981 in Paris, lebt und arbeitet in Genf und Berlin) arbeitet mit den Medien Fotografie, Video, Skulptur und Installation. Fotografie und Video dienen ihm meist als Referenzpunkte, von denen aus der Künstler die Grenzen der Realität und der Imagination, der Plausibilität und Konstruktion dieser Medien auslotet. Auf der konstanten Suche nach dem perfekten «ikonischen» Bild, reist Adrien Missika um die Welt und erforscht aussergewöhnliche Orte und Phänomene.
Für seine erste institutionelle Einzelausstellung in der deutschen Schweiz entwickelt er neue Arbeiten eigens für die Räume des Kunsthaus Glarus. Er begibt sich dafür auf die Spuren des brasilianischen Landschaftsarchitekten und Künstlers Roberto Burle Marx (1909-1994), der in Rio de Janeiro, Brasilia, Sao Paulo und auch Paris exotische Landschafts-, Garten- und Promenadengestaltungen realisierte. Neben zahlreichen öffentlichen und privaten Garten- und Platzgestaltungen, etwa der Promenade der Copacabana oder mehreren öffentlichen Bauten in Brasilia und Sao Paulo, gestaltete Burle Marx auch sechs Patios des UNESCO-Gebäudes und entwarf unrealisierte Pläne für die Terrassen des Centre Pompidou in Paris. Er gilt als Begründer der modernen Gartenarchitektur und arbeitete wiederholt mit den Architekten Lucio Costa, Le Corbusier und Oscar Niemeyer zusammen. Seine Gärten zeichnen sich durch organische, geschwungene Formen aus, so dass der Gesamteindruck eines abstrakten Gemäldes entsteht. Burle Marx verwendete in Brasilien heimische Pflanzen. Insgesamt 33 Arten wurden nach ihm benannt. Er kultivierte die tropischen Pflanzen, die er auf seinen Expeditionen sammelte und anschliessend für seine Gärten verwendete. Die Verwendung von einheimischen Pflanzen stellte in Brasilien zu jener Zeit ein Novum dar. In brasilianischen Gärten wurden bis dahin nach dem europäischen Modell, europäische Pflanzen - Gesten eines kulturellen Kolonialismus, aber auch exotische Symbole für den tropischen Kontext, verwendet.
Für den Oberlichtsaal des Kunsthaus Glarus entwirft Missika eine von Burle Marx inspirierte Raum-Gestaltung mit Pflanzen und skulpturalen Pflanzen-Turm-Konstruktionen. Er transportiert Burle Marx‘ Konzept der Gartenanlage in den musealen Raum und verwandelt damit das Kunsthaus in einen begehbaren tropischen Wintergarten. Für den Bau der Bambus-Türme verwendet er die asiatische Knotentechnik des Gerüstbaus und erweitert damit den architektonischen Raum in die vertikale Dimension. Dieses formale Element ist sowohl ein Charakteristikum der verdichteten Stadtplanung als auch von utopischen Konzepten des vertikalen Gartens und der grünen Stadt. Weitere Architektur-Reminiszenzen bilden verspiegelte, ausrangierte Fensterscheiben eines modernen Gebäudes, die einen Raumhorizont schaffen. Die Wiederverwendung von ausgedienten Architektur-Elementen in neuen Kontexten ist eine Geste, die Missika analog zu Burle Marx einsetzt und damit auch eine gewisse Zeitlichkeit und Vergänglichkeit der Baukultur reflektiert. Im Seitenlichtsaal zeigt Missika Fotografien von Pflanzen und Gartenanlagen, die auf einem Display-System von skulpturalen Elementen in Form von Metall-Paneelen gezeigt werden. Diese Präsentationsform adaptierte Missika aus einem musealen Präsentationssystem der botanischen Abteilung des Indian Museum in Calcutta. In ihrer Funktion sind die Elemente hybrid und variabel. Sie dienen hier in Glarus als eigenständige Skulptur oder als Rahmen für grossformatige Fotografien, wurden andernorts aber auch als Bildträger oder Projektionsfläche für Video eingesetzt. Mit diesen skulpturalen Elementen entstehen eigenständige Mini-Ausstellungen innerhalb des Ausstellungsraums. Eine weitere Serie von ausgedienten Fensterscheiben - wiederum variabel in ihrer Funktion als eigenständige Arbeit und als Projektionsfläche für weitere Bilder - bildet wiederum Referenzen zur modernen Architektur.
Das umfangreiche Bildmaterial sammelte Missika während einer Reise auf den Spuren des Landschaftsgestalters durch Brasilien in der Manier einer Grand Tour, wie es Reisende Ende des 19. Jahrhunderts unternahmen. Sein besonderes Interesse gilt dem Erbe der europäischen Moderne ausserhalb Europas. Er dokumentiert den heutigen Zustand der Projekte des Landschaftsarchitekten in Brasilien, die einerseits zum nationalen Erbe des Landes gehören, andererseits aber auch einer gewissen Zeitlichkeit, einer Instabilität und Auflösung unterliegen. Sein Fokus richtet sich auch auf die tropischen Pflanzen und das Konzept des Wintergartens, dem europäischen Modell der Kultivierung und Musealisierung von Exotik und Andersartigkeit. Verglaste Anbauten an herrschaftliche Häuser und Gewächshäuser wurden im 18. Jahrhundert in England entwickelt und dienten sowohl als gesellschaftliche Treffpunkte, als auch als exotische Präsentationen von kulturellen Schätzen der kolonialen Gebiete in Palmenhäusern und botanischen Gärten. Sie verliehen aber auch der modernen Architektur mit ihren Glas-Stahl-Konstruktionen nachhaltige Impulse. Missika geht es letztlich um die Konfrontation von Natur und kultureller Konstruktion, Alt und Neu, Dekor und «Fake» und das Konzept der Ruine, das bereits von Burle Marx immer wieder aufgegriffen wurde.