5.2. – 7.5.2006

Markus Müller Agatenplatten

Markus Müller (*1970 in Teufen AR, lebt und arbeitet in Basel) ist einer der wenigen zeitgenössischen Künstler, der sich seit Beginn seiner künstlerischen Arbeit ausschliesslich mit Skulptur auseinandersetzt. Seine Skulpturen bestechen durch eine einfache Bildsprache, welche den Betrachter immer etwas perplex lassen – denn was man sieht, ist nie das, was es zu sein verspricht. Markus Müller verarbeitet sein Rohmaterial (meist Spanplatten, Sperrholz und Dachlatten) zu seltsam hybriden Konstruktionen, in welchen Naturelemente mit Mobiliarfragmenten eigenwillige Verbindungen eingehen. Gewisse seiner Objekte erinnern an Möbelstücke oder an Architekturfragmente mit surrealem Touch oder spielen auf beinahe parodistische Weise auf gewisse künstlerische Ausdrucksformen und Stile an. Obwohl der Künstler ganz dem Dreidimensionalen verpflichtet ist, spielt Malerei in seiner Arbeit eine wichtige Rolle. Mit groben Pinselstrichen bemalt er seine Skulpturen, indem er, in einer Art theatralischen Kulissenmalerei, Materialien wie Holz, Marmor oder Stein imitiert. Damit spiegelt er dem Betrachter des Objektes eine Materialität vor, die in keiner Weise der in Wirklichkeit verwendeten Rohmaterialien entspricht.

Markus Müller konstruiert seine Werke ausgehend von handwerklichen Techniken des Schreinerns. Die Volumen entstehen meist durch das Aneinanderfügen von Flächen, was eine gewisse Kantigkeit der Objekte zur Folge hat. In den letzten Jahren scheinen sich insbesondere drei Typologien von Objekten in Markus Müllers Schaffen herausgebildet zu haben. Da sind erst einmal die Skulpturen, welche Elemente aus der Natur nachbilden. Zu dieser Kategorie gehören Werke wie die Achate (2001), grosse amorph geschnittene Spanplatten, dessen bunt bemalte Flächen aus etwas Distanz gesehen tatsächlich wie überdimensionierte, edle Steinscheiben wirken. Oder Loch (2003), eine Art Felsöffnung, dessen Wirkung Markus Müller mit aufgebockten, hintereinandergesetzten Flächen nachzuahmen sucht: ein Werk, das im Wissen entstanden ist, als Inszenierung eines Phänomens – nicht jedoch als Skulptur – zum Scheitern verurteilt zu sein. Diese beiden Beispiele zeigen, wie Markus Müller einerseits mit dem Aspekt der illusionistischen Inszenierung kokettiert, diesen durch das Offenlegen der Konstruktion und der offensichtlichen Künstlichkeit der Situation sogleich wieder aufhebt.

Als zweite Kategorie können diejenigen Objekte genannt werden, welche zwar Objekte aus der Natur oder zumindest Gegenstände aus – vermeintlich – natürlichen Materialien repräsentieren, jedoch museal inszeniert und zum Kunstwerk erhöht werden. Ohne Titel (2004) besteht beispielsweise aus überdimensionierten, knochenartigen Objekten, welche auf edel wirkenden Holzsockeln präsentiert werden. Bei näherem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass die mit dunkler Holzmaserung bemalten Sockel, nicht die Funktion eines Präsentationsdispositivs haben, sondern Bestandteil des Werkes sind. Ein anderes Beispiel ist Stilleben (1998), ein Werk aus riesigen, additiv aneinandergefügten Kuben, in welche zwei wurzelstockähnliche Holzelemente integriert wurden. Die schwarz bemalten Kuben haben beinahe architektonische Qualität und erinnern in ihrer Konstellation unweigerlich an die seriellen Kuben der Minimal Art, wie man sie z.B. von Donald Judd kennt. Allerdings verdeutlicht dieses Werk auch gleich die grundlegenden Unterschiede zwischen der kunsthistorischen Referenz und Müllers künstlerischer Haltung. Markus Müller produziert hier – wie so oft in seinen Werken – einen Form- und Material-Clash zwischen den massiven Marmorkuben und den organisch geformten Holzelementen. Erinnert man sich daran, dass die Materialopposition zudem keine wirkliche, sondern in beiden Fällen nur malerisch fingiert ist, wird der starke Kontrast zwischen Markus Müllers Spiel mit (Material-) Referenzen und dem puristischen Materialumgang der Minimal-Künstler sichtbar.

Zur dritten Kategorie gehören die hybriden Objekte, welche aus der Kreuzung von Naturelementen und Möbelteilen entstehen (einer Verbindung zwischen natürlich und kulturell konnotierten Objekten also), von denen Gebüsch (1998) – ein Kubus mit bemaltem Buschrelief auf den Füssen eines antiken Schrankes – eines der frühesten Beispiele ist. Ohne Titel (2006), um ein ganz aktuelles Beispiel aus der Ausstellung in Glarus zu nennen, setzt sich aus zwei Elementen zusammen: einer grossen Platte, welche an das schöne Innenleben einer aufgeschnittenen Steinplatte erinnert, und einem auf die Tradition des modernistischen Möbeldesigns verweisendes Wandgestell. Die Steinplatte, also sozusagen die Rückwand des Gestells, wurde vom Künstler in einer Technik geschaffen, welche sowohl Elemente der Intarsienarbeit wie auch der Collage beinhaltet. Anders als klassische Intarsien, besteht aber Markus Müllers kubistisch anmutende Steinplatte wiederum aus Materialien, die der Künstler durch Bemalen der Spanplattenteile selber geschaffen hat. Wie so oft verwickelt auch dieses Werk Markus Müllers den Betrachter in ein trickreiches Spiel mit unterschiedlichen Realitätsebenen – und dies nicht nur im Bezug auf wie konsequente Verwendung der Materialillusionen, sondern auch in Bezug auf die Interpretation von Genre und Status des Werkes.

Was sehen wir eigentlich vor uns? Ein Möbel? Ein Wandrelief? Eine bemalte Skulptur an der Wand? Ein gemaltes Bild? Die anfangs geäusserte Behauptung, der Künstler beschäftige sich ausschliesslich mit Skulptur, muss insofern also relativiert werden. Vielmehr als die Skulptur als solche, interessiert ihn das Spannungsverhältnis zwischen Malerei (Ausdehnung auf der Fläche) und Skulptur (Ausdehnung im Raum), zwischen Wand und Raum. Im Kunsthaus Glarus thematisiert er dies mit einigen Werken explizit. So tauchen in seiner aktuellen Ausstellung zum Beispiel Bilderrahmen auf, die sich von ihrer Funktion der Grenzziehung zwischen Bild und Wand und ihrer Prestigefunktion gelöst haben, um frei im Raum stehend, zu einer autonomen Skulptur zu werden. Oder es ragen in einem zweiten Saal überlange Trägerbalken in den leeren Raum hinein, ohne ihre Funktion als architektonische Träger wahrzunehmen. Die Balkenimitate tragen, stützen nichts, sondern präsentieren, in einem prekär wirkenden Balanceakt, sich selbst und markieren dabei, wie Vektorenlinien einer räumlichen Zeichnung, den Luftraum des Saales.

Markus Müller setzt sich in seiner bildhauerischen Arbeit mit Fragen auseinander, in welchen der Aspekt der Malerei von grundlegender Wichtigkeit ist, geht es ihm dabei doch um die zentrale Frage der Repräsentation. Er geht dieser Frage in seinen Werken insbesondere mit der Untersuchung von zur Kunst gewordener Natur mit den Mitteln der Kunst nach. Seine komplexen Schichtungen von Darstellungsebenen, seine illusionistischen Inszenierungen und sein Interesse an Naturphänomenen, die so wirken, als wären sie – von unbestimmter Hand – gestaltet worden, zeigen eine gewisse (Wahl-) Verwandtschaft mit den Barock (man denke beispielsweise an die spielerische Durchdringung der Architektur mit den Mitteln der Malerei in Kirchenräumen). Wenn gewisse Werke Markus Müllers also listig auf Fundstücke aus den Wunderkammern des 18. Jahrhunderts verweisen, wo Naturelemente, neben Volkskundlichem, Kuriositäten und Kunstwerken Platz fanden, so ist dies durchaus kein Zufall. Tatsächlich versetzen einem Markus Müllers überdimensionierte, sperrige Skulpturen in kindliches Staunen, wie man beispielsweise vor einer seltsam ausgebildeten Felsformation in Staunen geraten könnte. Seine Werke haben jedoch, im Gegensatz zu den Naturphänomenen, mehrere konzeptuelle und gestalterische Filterungsprozesse durchlaufgelaufen, um zu einem durch und durch künstlerisch künstlichen Surrogat zu werden.

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