13.11.2011 – 22.1.2012
Annette Amberg Everything but Arms
Annette Amberg (*1978 in Bern, lebt und arbeitet in Zürich) befragt in ihren künstlerischen Arbeiten die Bedeutungen des politischen und symbolischen Austauschs von Gütern und Wissen und deren Auswirkungen auf die Konstruktion von kultureller Identität. In der Kombination von Objekten, gefundenen und persönlichen Fotografien, Filmmaterial sowie installativen Elementen spannt die Künstlerin ein vielschichtiges Netz an Bezügen innerhalb der Architektur- und Kulturgeschichte. Dabei geht es um das komplexe Verhältnis von Identität und Repräsentation, konstruiertem Bild und kodierter Vorstellung, um die Beziehung von einer privaten und der offiziellen Version von Geschichte und um eine Befragung der modernen, westlich konnotierten Architektur im Spiegel des Exports in andere kulturelle Kontexte.
Der mehrdeutige Ausstellungstitel Everything But Arms ist einerseits eine Anspielung auf das gleichnamige politische Handelsabkommen zwischen der EU und einer Reihe von wirtschaftlich wenig entwickelten Staaten, das auf Gegenseitigkeit, Förderung und auf Zollfreiheit aller Güter, ausgenommen Waffen, beruht. Andererseits bezieht sich die Doppeldeutigkeit des Wortes «arms» im Englischen, das für Kriegsmaterial ebenso wie für Arme steht, auch auf eine fragmentarische Sichtweise, wie etwa diejenige eines Archäologen auf Bruchstücke einer fremden Kultur – etwa auf eine ausgegrabene Skulptur, Fragmente von Architektur oder andere kulturelle Schätze. Damit verweist der Titel auch auf die Arbeitsweise von Annette Amberg, sich auf poetische Weise historisches, kulturelles Material und seine Formensprachen anzueignen und diese unter neuem Blickwinkel zu betrachten.
In ihrer ersten grossen Einzelausstellung im Kunsthaus Glarus führt Annette Amberg ihr Interesse am kulturellen und ideologischen Transfer von Ideen und Objekten weiter und untersucht diese anhand der ehemaligen französischen Kolonialgebiete in Südostasien. Basierend auf einer wiederkehrenden Auseinandersetzung mit dem Leben und Werk ihres Onkels, des kambodschanischen Architekten Vann Molyvann verbindet die Künstlerin jüngere und neu geschaffene Arbeiten zu einem abschliessenden Werkkomplex. Vann Molyvann wurde 1926 in Kampot, Kambodscha geboren und reiste 1946 mit einem Stipendium als einer der ersten Khmer nach Paris, um erst Recht dann Architektur zu studieren. Dort wurde er mit der westlichen Kultur, besonders mit den Visionen der modernen Architektur vertraut. Nach seiner Rückkehr in das mittlerweile unabhängige Kambodscha erhielt der Architekt unter dem Prinzen und späteren Staatschef Norodom Sihanouk schnell bedeutende Aufträge und gestaltete den Aufbau einer modernen Zivilgesellschaft mit, indem er die Bauweise des «International Style» den lokalen Gegebenheiten anpasste und die asiatische Bautradition mit einbezog. Durch finanzielle und technische Unterstützung internationaler Bauherren und Beratern wie etwa des ehemaligen Mitarbeiters von Le Corbusier Vladimir Bodiansky wurden in der kurzen Blütezeit von circa 15 Jahren Hunderte von Gebäuden realisiert. Diese Entwicklung wurde aufgrund der politischen Spannungen in Südostasien und des nachfolgenden Terrorregimes der Roten Khmer in den 70er Jahren abrupt unterbrochen.
In der Ausstellung stellt der Dialog mit der Architektur des Kunsthaus Glarus wiederum ein Referenzpunkt dar, wie bereits in der Arbeit Portait (2010), die nach der Ausstellung Of Objects, Fields, And Mirrors (2010) in die Sammlung des Glarner Kunstvereins gelangte und nun im Eingangsbereich zu sehen ist. Diese Arbeit thematisiert durch subtile Eingriffe in die Architektur des Kunsthauses, eine fiktive Begegnung zwischen Vann Molyvann und seinem Glarner Berufskollegen und Zeitgenossen Hans Leuzinger. Im Seitenlichtsaal der aktuellen Ausstellung präsentiert Annette Amberg skulpturale Elemente aus Beton mit dem Titel Structure IV-VIII (2011), die sich an funktionale und gestalterische Strukturen anlehnen, die zum Markenzeichen der neuen kambodschanischen Architektur der 1950er und 60er Jahre geworden waren. Die Künstlerin zeigt diese zusammen mit der Filmarbeit Documentation (2011) und den daraus extrahierten Stills Untitled (Blvd. Mao Tse Toung 107, 2011), die sie in Kambodscha mit touristischer Perspektive als eine Art zeitgenössische Bestandsaufnahme des kulturellen Erbes in Kambodschaa geschaffen hat. In der 16mm-Arbeit fokussiert die Kamera Tempel, Monumente oder die Bauten Molyvanns, etwa auch sein Privathaus im tropischen Licht.
Im Oberlichtsaal baut Annette Amberg eine begehbare schiefe Ebene entlang den Wänden und überzieht diese mit rotem Teppich. Damit fasst sie einerseits den Ausstellungsraum mit einer repräsentativen Geste und schafft anderseits ein irritierendes Display für die Betrachtung von Fotografien und einer Textarbeit an der Wand. Die Textarbeit Portait (Phnom Penh, 2007-11) zeigt eine Reihe von Strassennamen in der kambodschanischen Hauptstadt, die nach den Förderern des damals neu entstehenden unabhängigen Staates benannt sind. Dabei zeigt sich einerseits der Versuch der Neutralität beim Aufbau des Landes, gleichzeitig manifestieren sich darin aber auch die polaren Kräfte des Kalten Krieges, die Kambodschas Entwicklung massgeblich prägten. Parallel taucht wiederum eine Serie von Archiv-Bildern mit dem Titel Untitled (Life and Work, 2011) aus dem privaten Umfeld ihres Onkels aus den 60er Jahren auf, in denen sich poetische, intime Momente aber auch subtile Machtverhältnisse äussern. In der Verbindung von Texten, dokumentarischem Material, etwa Fotografie und Film sowie weiteren Objekten in einem installativen Dispositiv erzeugt Annette Amberg eine fragmentarisch-subjektive Erzählung. Dabei sind sowohl private Bilder als auch Präsentations- und Repräsentationsformen, wie sie sich sowohl in der Kunst als auch der Politik zeigen, von Interesse. Das Interesse der Künstlerin richtet sich dabei besonders auf Mechanismen des Austauschs und der Wahrnehmung von fremder Kultur sowie die Bildung und Tradierung von Stereotypen von Exotik.