29.6. – 24.8.2003
Fink Forward. Edition Fink: the Collection/Connection
Das Projekt Fink Forward zeigt Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Umfeld der edition fink. Die versammelten Positionen gehören zum Spannendsten, was die Schweizer Kunstszene im Augenblick zu bieten hat.
Das Kuratorenteam - Matthias Kuhn, Christoph Lichtin, Georg Rutishauser, Nadia Schneider - hat für Fink Forward sieben Kunstschaffende eingeladen, für die Räume des Kunsthauses Glarus neue Arbeiten zu realisieren. Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler arbeiten alle in starkem Mass medienübergreifend; sei es in der Verbindung von Skulptur, Malerei und Installation (wie bei Markus Müller, Jonathan Delachaux oder Valentin Carron), von Installation, Video und Fotografie (Cooky Gordon oder Daniel Schibli) oder auch von Text und daraus inhaltlich entwickelten Objekten (Mai-Thu Perret). Eine auffallende Parallele zwischen den sehr eigenständigen Positionen findet sich auch im Interesse am Alltäglichen, am Banalen und dessen Inszenierung, welche mitunter einen theatralischen Aspekt in sich birgt. Gewisse Arbeiten könnten formal auf den ersten Blick als Kulisse, Dekor oder Requisit gelesen werden und spielen mit dem Aspekt der Täuschung (Trompe l'oeil), des Mimikry, des Fake. Andere wiederum arbeiten mit einer gewissen Stilisierung und Verfremdung bekannter Dinge - Gebrauchsobjekte, Möbel, Architekturen - oder laden vermeintlich gewöhnliche Objekte durch deren Kontextualisierung in einen grösseren Sinnzusammenhang narrativ auf.
Im grossen Oberlichtsaal im Obergeschoss des Kunsthauses steht Markus Müllers monumentale Skulptur eines Felsblockes auf einem Sockel. Immer wieder benutzt der Künstler (*1970 in Basel, lebt und arbeitet in Basel) in seiner Arbeit billigste Materialien wie Karton oder Sperrholz, um damit eine dazu in Opposition stehende Materialität wie edlen Marmor oder Achatsteine vorzutäuschen. Seine Objekte, seltsame Kreuzungen aus Wohnwelten, Mobiliar und «hoher Kunst», dienen als gebastelte Surrogate, welche ein Objekt nicht abbilden, sondern vielmehr im theatralischen Sinne «aufführen». Sie geben vor, etwas zu sein, was sie nicht sind, lassen aber den Betrachter die täuschend echt aussehenden Objekte und Bauten schon nach kürzester Zeit als reinen Schein entlarven. Der Blick hinter die Fassade zeigt die Konstruktion und deckt somit die suggestive Kraft von Dekor und Ornament in ihrem theatralischen Auftritt als Überhöhung und verführerische Illusion auf.
Der Skulptur von Markus Müller werden im grossen Oberlichtsaal Bilder von Stefan à Wengen (*1964 in Basel, lebt und arbeitet in Düsseldorf) gegenübergestellt. Die Bilder à Wengens strahlen die Ruhe eines nicht bespielten Filmsets aus - eine trügerische Ruhe, die in jedem Augenblick ins Seltsame, Unheimliche zu kippen droht. Die Motive seiner in reduzierter Farbigkeit gemalten und dennoch intensiv leuchtenden Bilder - Landschaften, temporäre Architekturen und neuerdings auch Porträts von Menschen aus anderen Kulturkreisen - stammen zwar aus Zeitungen und Zeitschriften, haben aber die Kraft von Bildern aus dem kollektiven Gedächtnis. Der nüchterne, dokumentarische Realismus verbindet sich bei à Wengen mit melodramatischen Effekten (nicht zuletzt aus dem Fundus des Horrorfilms), die eine (bewusst eingesetzte) Psychologisierung des Bildes zur Folge haben.
Daniel Schibli (*1963 in Zürich, lebt und arbeitet in Zürich) wird im Seitenlichtsaal eine grosse Installation realisieren, die auf seinen fotografisch festgehaltenen Versuchsanordnungen basiert. Es ist nicht einfach, die Arbeit Daniel Schiblis auf einen Nenner zu bringen: Nachdem der Künstler sich anfangs der 90er Jahre in videodokumentierten Performances mit den elementaren Bedingungen der zeitgenössischen Plastik auseinandergesetzt hatte, begann er Mitte der 90er Jahre in seinem Atelier Installationen - Modellräume und -landschaften - zu schaffen, die ihm als Basis für seine fotografischen Arbeiten und manchmal auch als Kulisse für seine Videos dienten. Während sich in seinen Videos eine immer stärkere Tendenz zum Erzählerischen manifestierte, wurde gleichzeitig in seinen Fotos und Objekten auch das Einfliessen von skurrilen, märchenhaften, traum- oder albtraumhaften Aspekten spürbar.
Ebenfalls im Seitenlichtsaal wird eine Arbeit von Mai-Thu Perret (*1976 in Genf, lebt und arbeitet in Genf und New York) zu sehen sein, die seit 1999 in tagebuchartiger Form über das Projekt Crystal Frontier schreibt. Crystal Frontier ist eine (fiktive) utopische Frauengemeinschaft, die sich in die Wüste zurückgezogen hat, um dort ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen. Mai-Thu Perrets Texte sind jedoch nicht eindeutig als Fiktion/als Literatur zu verorten, da sie formal im Rahmen privater Zeugnisse der «Autorinnen» bleiben. Sie dienen der Künstlerin hingegen als Szenario, als System, innerhalb dessen sie Objekte generiert, die in losem, assoziativem Zusammenhang mit dem Leben, den Sehnsüchten der utopischen Frauenkommune stehen. Für Glarus hat Mai-Thu Perret eine monumentale Skulptur geplant, die während der Ausstellungsdauer von Kaninchen bewohnt werden wird; denn die Aufzucht von Nutztieren, insbesondere von Kaninchen, gehört zum ländlichen Leben der Selbstversorgerinnen der Crystal Frontier. Das Kaninchenhaus dient aber nicht nur als funktionaler Zweckbau, sondern spiegelt die ästhetischen Vorlieben und Wünsche der Frauengruppe wieder.
Cooky Gordon (*1973, lebt und arbeitet in L.A. und Nuuk, Grönland), die in der Schweiz vor allem durch ihre Ausstellung im Kleinen Helmhaus, Zürich (stuff 99, 1999) Aufmerksamkeit erregt hat, benutzt im Kunsthaus Glarus die beiden Schneelisäle im Untergeschoss für ihre Gesamtinstallation mit Malerei, Objekten, Video und Sound. Wie ihre Arbeit im Kleinen Helmhaus, wo ihre Schwester, die als Modell für internationale Agenturen arbeitet, im Zentrum stand, ist auch die Installation im Kunsthaus Glarus biografisch geprägt. Auf den Spuren ihres Vaters siedelte Cooky Gordon vor einiger Zeit nach Grönland über, wo sie schnell ein neues Netzwerk bildete und Musikprojekte lancierte. Ausgehend von einem Dokumentarfilm über die Polarexpedition, die Cooky Gordons Vater 1979 von der Familie wegführte, erkundet sie in ihrer Installation als Computeravatar «Victoria» die fragementierten Landschaften des Polarkreises.
Valentin Carron (*1977 in Fully VS, lebt und arbeitet in Fully) hat für seine eigene künstlerische Arbeit gestalterische Praktiken vereinnahmt, die bis heute kaum Eingang in die «hohe Kunst» gefunden haben. Mit bissigem Humor erarbeitet er seine Werke in kunsthandwerklichen Techniken und zieht dazu die jeweiligen Spezialisten zu Rate. So liess er z.B. kürzlich Bilder von Fernand Léger, also Werke von kunsthistorischer Relevanz, von einem Kunsthandwerker auf Lederhäute kopieren, die auf krude Art auf organisch geformte Holzrahmen gespannt waren. Valentin Carron transferiert aber auch alltägliche Objekte, denen ein Geschmack von Biederkeit anhaftet (eine Pergola, ein Gartentor etc.), in die Kunst - setzt diese aber oft mit Techniken um, die wiederum aus dem Bereich des Kunsthandwerks stammen. Im Kunsthaus Glarus wird Valentin Carron im Saal der ehemaligen Naturwissenschaftlichen Sammlung eine grossflächige Wandmalerei produzieren und eine neue Skulptur zeigen.
Jonathan Delachaux (*1976 in Genf, lebt und arbeitet in Genf) arbeitet seit zehn Jahren an einer Fiktion, in deren Zentrum die drei Charaktere Vassili, Johan und Naïma stehen. In seinen Ausstellungen dokumentiert der Künstler anhand von Malerei, Fotografie, Skulptur, Text oder Musik, Erlebnisse, Erfahrungen und Episoden aus dem Leben der drei (als Puppen existierenden) Figuren. An gewissen Punkten beginnen sich jedoch Fiktion und Lebensrealität des Künstlers zu vermischen, indem die Figuren nämlich integraler Bestandteil seiner künstlerischen Arbeit geworden sind und er selbst manchmal als Puppe in seinen Arbeiten auftritt. Für die Ausstellung in Glarus wird Delachaux Bilder malen, auf denen die drei Freunde vor den Werken der sechs anderen teilnehmenden Kunstschaffenden von Fink Forward zu sehen sein werden. Allerdings entstanden diese Bilder lange bevor der Künstler die realen Werk hätte zu Gesicht bekommen können!
Die edition fink ist ein Verlag für zeitgenössische Kunst in Zürich, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, in engster Zusammenarbeit mit den Kunstschaffenden Künstlerbücher und -kataloge, sowie Multiples in kleinen Auflagen zu produzieren. Als 50. Publikation erscheint am 10. August 2003 als Teil des Projekts die Publikation Fink Forward, the collection/connection. (Vollständige Informationen zu allen Publikationen und zum Projekt Fink Forward unter http://www.editionfink.ch)