1.12.2001 – 6.1.2002
Peter Kamm Fokus-Preis 2001
Im letzten Jahr wurde Peter Kamm der Preis des Glarner Kunstvereins verliehen. In diesem Jahr stellt sich Peter Kamm (* 1958 in St. Gallen, lebt in St. Gallen, arbeitet in Arbon) in der mit dem Preis verbundenen Fokus-Einzelausstellung - parallel zur Ausstellung der Kunstschaffenden aus Glarus und Linthgebiet - mit einer Gruppe vollkommen neuer und überraschender Arbeiten dem Publikum umfassender vor.
Peter Kamm behandelt seit Anfang der achtziger Jahre in seinem Werk die Frage nach der Aktualität eines nicht sehr aktuellen, von Erscheinungen der Kunstgeschichte und Diskussionen um Monumentalität, Akademismus, Dekoration und Unzeitgemässheit überladenen künstlerischen Materials. Er arbeitet in Stein. Schon in seinen figürlichen Anfängen mit Körperfragmenten, Torsi und Gliedmassen in Stein und mit grossformatigen Zeichnungen macht er deutlich, dass seine Vorgehens- Sicht- und Arbeitsweise in Auseinandersetzung mit aktuellen Medien und Diskursen stehen. Mitte der achtziger Jahre reflektiert er die zunehmende Akzeptanz der «abbildenden» Medien wie Fotografie und Video indem er sich von einer figurativen Ikonographie abwendet. Er findet für seine Arbeiten Formen, die im weitesten Sinne der Formenwelt der Natur zuzuordnen sind - Korallenformationen, geologische Konstellationen, Fossilien bilden Assoziationsketten, die ein Oszillieren zwischen einer figürlichen und abstrakten Lesart seiner Arbeiten verursachen. Peter Kamms Vorgehens- und Arbeitsweise und seine Formfindungen sind «rhizomartig» wie die philosophische Weltauffassung, die Deleuze/Guattari vorschlagen. Er integriert Errungenschaften der traditionellen Arbeitsansätze der Steinskulptur und überführt sie gleichzeitig in ihr Paradox, er beschäftigt sich mit Bildern, Formen und Erscheinungen aus allen Bereichen und Zeiten kultureller Realität und lässt unterschiedliche Ebenen dieser «Ablagerungen» zum Vorschein kommen. Und er nimmt dazu ein Formenfeld heran, das diese Weltauffassung «repräsentiert», indem es Geologie, Paläontologie und natürliche Formenwelten evoziert und diese gleichzeitig in ihrer «Natürlichkeit» demaskiert.
Peter Kamm arbeitet direkt und mit technischem Gerät in den Stein, dessen Rohling er aber mehr als über die Hälfte der ursprünglichen Masse reduziert, eine Methode, die den Stein durchlässig und «beweglich» werden lässt. Seine «Versteinerungen» sind Fixierungen eines Formerfindungsprozesses und sie setzten das Bild der Versteinerung immer auch zugleich wieder in Bewegung. Versteinerungen aus der Natur erwecken den Eindruck fotografisch oder vielleicht auch wissenschaftlich genauer Abbildung - sie sind von Geologen oder Paläontologen «freigelegte» Abbildungen von Prozessen, die die Natur überraschend, aber mit menschlich überzeitlichen und überdimensionalen Zuständen eingeschlossen, niedergeschrieben, konserviert hat. Von weichen, beweglichen, lebendigen, sich bewegenden, lebenden, verändernden Zuständen zum «Bild» gepresst, mit übergrosser Hitze «eingefroren» in das Bild des Moments, erstarrt zu einer dreidimensional gescannten Repräsentation der Muschel, des Tieres, der pflanzlichen Form.... Peter Kamm arbeitet aus dem Stein von dieser Formenwelt inspirierte aber extrem vergrösserte Formen hervor, aber er findet nicht Gestalt im Stein, sondern fiktionalisiert den Stein als Formträger und monumentalisiert so sowohl das Material als solches wie Formerwartungen und Vorstellungen, die das Material enthalten könnte - eine tautologische Versprachlichung seines Materials ist die Folge. In der Monumentalisierung und Fiktionalisierung des Steines und dessen Inhaltsbilder setzt Peter Kamm das Material nochmals in Bewegung: Unterirdische flüssige Materialien scheinen an die Oberfläche zu drängen und hinterlassen geologische Formationen, konzentrisch sich abschwächende Wölbungen sichtbar werden, röhrenartige Formen kleben aneinander und sind doch aus einem Stück gehauen, klumpenartige Schalentierkonglomerate brechen an den Oberflächen auf oder machen Querschnitte Innenformen sichtbar, dichte Steinflächen sind durchlöchert, durchbohrt, durchdrungen von unterschiedlichsten vegetalen, animalen, substantialen Wirklichkeiten, Oberflächen zeigen das was sie einmal enthalten haben könnten als negative Formen, als Mulden, Behälter, Auswaschungen. Peter Kamms Skulpturen sind überlagerte Bilder von natürlichen Formen, sie sind nicht natürlich, sondern geformte, gestaltete, künstliche Form, die als Sediment unzähliger Bilder aus der Natur und aus der «Kunstwahrnehmung» natürlicher Formen, wie wir sie etwa bei Karl Blossfeld oder Ernst Haeckel als Schönheit und Abstraktion dargestellt finden, an die Oberfläche gelangen. Und sie verweben «rhizomartig» Diskurse um Paläontologie, Geologie, Künstlichkeit, Begriff, Repräsentation, Assoziation, Kultur und Natur.
Am nächsten an der Natur ist Peter Kamm dort, wo er unsere Wahrnehmung natürlich organischer Formen als Interpretationen des Natürlichen wirksam werden lässt und uns in seiner Monumentalisierung organisch natürlicher Formenwelten auf die Gleichzeitigkeit von Möglichkeit, Wahrscheinlichkeit, Gegebenheit und Fiktion unserer Beziehungen zur Natur verweist.
Mit seinen neuesten Arbeiten thematisiert Peter Kamm die Wahrnehmungsmöglichkeiten seiner Skulpturen in einer anderen Übersetzung und greift mit seiner plastischen Realisierung ebenso stark in den freien Fluss von Assoziationen ein, wie er neue Assoziationen in Bewegung setzt. Die Oberfläche und die mit dem Auge nicht vollständig erfassbaren Innenformen seiner Bearbeitungen des Steins lässt Peter Kamm mit den Materialien abgiessen, die zur Gussformen-Herstellung von Bronzeplastiken z.B. verwendet werden. Bizarre Landschaften kommen zum Vorschein, die wiederum in einem fotografischen Moment des Einfrierens Vermutungen über die nicht sichtbare Formenwelt seiner Plastiken und den damit verbundenen Assoziationsfluss fixieren. Als «negative» Versteinerungen machen sie das sichtbar, was nicht ganz ertastbar, nicht ganz einsehbar, nicht ganz vorstellbar ist. In seiner Ausstellung im Kunsthaus Glarus kombiniert er diese Formenwelt mit einem Konvolut von Zeichnungen, die parallel zu seinen plastischen Arbeiten entstehen.
Beatrix Ruf, Konservatorin Kunsthaus Glarus.