1.12.2002 – 5.1.2003
Tina Hauser Fokus-Preis 2002
Tina Hauser (*1967 lebt und arbeitet im Kanton Glarus), die zur Zeit an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Klaus Rinke (Studienbereich Bildhauerei) studiert, wurde 2001 der Glarner Kunstpreis für Ihre Arbeit The Beauty verliehen. In ihrer Fokusausstellung im Kunsthaus Glarus präsentiert sie dieses Jahr nun zum einen fotografische Arbeiten aus ihrer Serie A Garden of Pleasure, zum anderen eine beeindruckende Installation, die sich vom Fundament des Kunsthauses bis in den Oberlichtsaal zieht.
Tina Hausers Arbeiten lassen sich nicht ausschliesslich einem Medium zuordnen. Sie arbeitet vor allem fotografisch und installativ, lässt aber auf unkonventionelle Weise auch Aspekte der Performance und der klassischen Bildhauerei in ihre Arbeiten einfliessen. Ihr Thema ist der Prozess der Lagerung; man lagert Dinge, die in der Aktualität keinen direkten Nutzen haben, die man jedoch nicht einfach verschwinden lassen will oder kann. Der Prozess der Lagerung kann auf eine Werterhaltung (man denke z.B. an eine Kunstsammlung oder an die Goldreserven der Nationalbank), eine Wertsteigerung (z.B. in einem Weinkeller) oder aber auch auf einen radikalen Wertverlust hindeuten (z.B. Endlagerung von atomaren Restbeständen). Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sich Tina Hauser in den letzten Jahren stark mit der Idee von Kehrichtverbrennungsanlagen auseinandergesetzt hat. Sie sind ein Verdauungssystem unserer Gesellschaft, ein Nicht-Ort, ein verdrängter Ort, das unser Konsumverhalten schonungslos widerspiegelt. Sie sind das Ergebnis unseres vom konsumorientierten Wohlstand geprägten kollektiven Verhaltens. Sie sind die Rückseite der Medaille, die uns nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ethischen Gründen Sorgen machen sollte. Tina Hauser fotografiert die bis zu 25 Meter hohen Müllberge vor Ort, in dem sie sich mit Schutzanzug, Funkgerät und Kamera bewaffnet in den kontaminierten Bunker begibt. Während dieses performativen Aktes, den sie unter extremstem körperlichen Einsatz vollzieht, macht sie den Bunker sozusagen zu ihrem temporären Atelier und erklärt gewisse Abfallschichtungen nach subjektiven, aber strengen formalen Kriterien zu «Plastiken auf Zeit». Die Künstlerin, deren Ausgangspunkt die traditionelle Steinbildhauerei ist, hinterfragt somit den Begriff «Plastik» radikal und führt ihn im Sinne der «Sozialen Plastik» weiter. Sie schafft nicht selber Plastiken sondern appropriiert gewisse gesellschaftliche Verwertungs- und Entsorgungsprozesse als Kunstwerke, indem sie diese fotografiert. Die auf die Fotos gebannten Müllberge sind nicht nur verführerisch schön und abstossend zugleich, sie können als eigentliche Sinnbilder unserer westlichen (Konsum-) Gesellschaft verstanden werden.
Im Kunsthaus Glarus zeigt Tina Hauser aber neben Fotografien aus der Serie A Garden of Pleasure auch das eigens für die Räumlichkeiten des Museums entstandene Objekt Schlacksbilt #4. Die beiden Arbeiten, die auf den ersten Blick ästhetisch gar nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, stehen in einer engen inhaltlichen Verbindung zueinander. Begegnet man Schlacksbilt #4 im Oberlichtsaal im Erdgeschoss, so wird man an Skulpturen der Minimal Art erinnert: Aus grauen Steinquadern wurde eine nach oben und auf zwei Seiten hin offene quadratische Struktur gemauert. Nach dem Besuch des Untergeschosses und des Heizungskellers wird jedoch klar, dass es sich hierbei nur um «die Spitze des Eisberges» handelt, denn das Objekt zieht sich vertikal – schachtähnlich – durch alle Räume des Schneelipavillons, was ein starker räumlicher Eingriff im Kunsthaus Glarus darstellt. Zudem bestehen die grauen Steinquader nicht, wie angenommen werden könnte, aus einem handelsüblichen Zementgemisch, sondern aus Schlacke (in gebundener Form), d.h. aus demjenigen Material, das nach dem Verbrennungsprozess in der Kehrrichtverbrennungsanlage übrig bleibt. Die Kehrichtberge, die Tina Hauser auf ihren Fotos zu Kunstwerken erklärt, sind nun also – sozusagen in verändertem Aggregatszustand – als dreidimensionales Objekt gegenwärtig. Was jedoch auf den Fotos noch als Abbildung zu erkennen war, ist jetzt nur noch in abstrahierter Form zu sehen. Die Herkunft des Ausgangsmaterials ist dem Objekt Schlacksbilt #4 nun aber zutiefst eingeschrieben, aber visuell nicht mehr erkennbar.
Die Stärke von Tina Hausers Arbeiten ist, dass sie trotz ihrer gesellschaftspolitischen Thematik nie moralisierend sind und somit das Potential haben, als Mahnmale zu dienen.