27.1. – 25.3.2001

Lill Tschudi Linolschnitte aus der Schenkung

Lill Tschudi, Linolschnitte stellt in einer ersten Übersicht die grosszügige Schenkung von 86 Linolschnitten vor allem aus der Zeit von den 60er Jahren bis 1999 vor, die Lill Tschudi, deren neunzigster Geburtstag in diesem Jahr zu feiern ist, dem Glarner Kunstverein im letzten Jahr zukommen liess. Lill Tschudi hat diese Schenkung seit vielen Jahren angekündigt, auch um ihre bereits in der Sammlung befindlichen 20 Werke zu einer umfassenden, der Vielfalt und den Entwicklungslinien ihres Werkes entsprechenden Werkgruppe zu ergänzen. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von 47 Linolschnitten aus der Schenkung in Zusammenhang mit wichtigen Linolschnitten der 30er bis 50er Jahre, wie etwa die Londoner Autobusse (1949), Le Long des Quais (1949) und Französische Gepäckträger (1935).
Seit ihren Studien in London, wo sie in der eher kurzen Ausbildungszeit von Dezember 1929 bis Mai 1930 den Studiengang des künstlerischen Linolschnittes bei Claude Flight (1881 - 1955), einem Pionier der Linolschnittkunst, an der Grosvenor School of Modern Art besuchte, stellt der Linolschnitt das wohl wichtigste künstlerische Ausdrucksmittel Lill Tschudis dar. Neben zahlreichen Aquarellen, Ölbildern, Collagen und Sgraffiti umfasst ihre Arbeit am und mit dem Linolschnitt nunmehr mehr als 350 Drucke.
Claude Flight, die angelsächsische Linolschnittschule und der rege freundschaftliche und künstlerische Austausch in diesem Umfeld prägten die 1911 in Schwanden geborene Lill Tschudi neben Aufenthalten in Paris, wo sie beim Kubisten André Lhote, dem Futuristen Gino Severini und dem Modernisten Fernand Léger Kurse nahm. Und im Unterschied zum erst später einsetzenden Interesse an ihrer Arbeit und Arbeitsweise gehört die Künstlerin in den USA, Grossbritannien und Australien schon seit den 30er Jahren zu den wichtigen Vertretern dieses eigenwilligen und eigenständigen Mediums.
Lill Tschudis Schaffen aus nunmehr beinahe siebzig Jahren bewegt sich konsequent mit den Entwicklungen und Fragestellungen ihrer jeweiligen Gegenwart und zeichnet sich durch eine engagierte Teilnahme und eigenständige künstlerische Formulierung dazu aus.
Von den 30er bis Anfang der 50er Jahre steht Lill Tschudis Werk, unterbrochen durch eine längere künstlerische Pause in den Kriegsjahren, formal, stilistisch und inhaltlich in der Tradition des angelsächsischen Linolschnitts, die die Künstlerinnen und Künstler im Umfeld von Claude Flight in zahlreichen Ausstellungen des «British Linocut» auch in den USA, China und Kanada bekannt machten, und in denen Lill Tschudi als einzige «Ausländerin» vertreten war: Art Déco, Futurismus und Kubismus sind die stilistischen Umfelder, die Wiedergabe dynamischer Bewegungsabläufe, schwingende Linien, rhythmisch angelegte, geometrische Formen und die Akzentuierung konturierter Flächen sind formale Elemente, mit denen Lill Tschudi sich den Erscheinungen der modernen Lebens, der Bewegtheit und den Turbulenzen der Grossstadt annähert: Tanz- und Jazzlokalszenen wie der schwarzweiss Linolschnitt Jazz Orchestra von 1935, um Kurven rasende Busse, Strassendekorationen, Radrennen (Tour de Suisse, 1935) und Szenen aus dem Alltagsleben fasst Lill Tschudi in überzeugenden und meisterlichen Bildkompositionen.
Ab Mitte der 50er Jahre markiert Lill Tschudi in ihrem Schaffen eine Zäsur und wendet sich zunehmend von der gegenständlichen Bildauffassung ab: Naturerfahrung und Realitätserfahrungen werden durch von einer mimetischen Funktion befreite Ausdrucksformen ersetzt, abstrakte Formen bilden spannungsvolle Beziehungsfelder, rhythmische Wiederholungen konstruieren bildliche Dichte. Immer wieder aber greift Lill Tschudi auch auf den Kontrast gegenständlicher und abstrakter Formelemente zurück.
Lill Tschudis Themenumfeld blieb bis heute die rege Teilnahme an den Erscheinungen ihrer Umwelt, seien es die Glarner Landschaften oder die Landschaften Sardiniens, die sie seit den 60er Jahren häufig besuchte und immer wieder in Bilder fasste (Sardische Formenwelt I, 1968; XV, 1982; XX, 1990 in der Ausstellung), sei es die Präsenz der Medien (Am Bildschirm, 1996) oder die Auseinandersetzung mit kollektiven, gesellschaftlichen Fragestellungen in Bildfindungen zur Familie, zum Besuch einer Vernissage oder mythologischen Themen, die die Menschheitsgeschichte prägen.

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