28.5. – 13.8.2006
Rolf Graf Most und Karfunkel
Die Arbeiten von Rolf Graf (*1969 in Heiden AR, lebt und arbeitet in Berlin) können sich als Videos oder Fotografien, wie auch als Objekte oder Installationen manifestieren, deren Konstanten die selbstreflexive Haltung und das ethnografische Interesse des Künstlers sind. Obwohl oft eigene Beobachtungen und persönliche Erinnerungen den Ausgangspunkt seiner Arbeiten darstellen, sind die Werke das Ergebnis eines reflektierten Distanzierungsprozesses, welcher diese für den Betrachter zugänglich machen.
Für die Ausstellung Most und Karfunkel im Kunsthaus Glarus hat der Künstler eine grosse Wandarbeit, skulpturale Objekte, Fotografien und Raumeingriffe geschaffen, die zwar als Einzelarbeiten konzipiert wurden, aber durch innere Bezüge miteinander verbunden sind. Wie die Wortkombination des Ausstellungstitels – Most und Karfunkel – anzudeuten vermag, geht es in dieser Ausstellung um die Verbindung von Bodenständigem und Märchenhaftem, von Alltäglichem und fantastisch Erdenfremdem. Rolf Graf legt mit seinen Arbeiten im Kunsthaus Spuren, die den Betrachter an Orte führt, wo es um tradiertes Wissen und Rituale, die Verortung von Erinnerungen und die Verwischung der Grenze von Natur und Kunst geht.
Im Seitenlichtsaal des Kunsthaus Glarus, tritt man als erstes auf ein weisses, an einen Ast gehängtes Unterhemd zu, das aussieht, als ob ein Wanderer es zum Trocknen aufgehängt hat. Leibchen, so der Titel des Werkes, meint nicht nur das schweizerdeutsche Pendant des hochdeutschen Begriffes Hemdchen, sondern verweist auf die Dimension des menschlichen Körpers: das Leibchen als Vergleichsmass und Hülle desselben. Auf die Innenseite des Unterhemdes sind Abbildungen von Vögeln gedruckt, die beim Tragen wie eine umgekehrte Tätowierung direkt auf dem Oberkörper liegen. Dieses Auf-sich-Tragen von Bildern, für die es keine funktionale Erklärung gibt, hat eine magische Bedeutung wie man dies von Amuletten her kennt.
Rolf Grafs Werke vermitteln immer etwas, das sprachlich – über den Akt der reinen Beschreibung hinausgehend – nicht fassbar ist. Es sind Vehikel von gefühltem Wissen, die verbal nicht zu vermitteln sind und deshalb auch Objekten aus dem Bereich des Kultes oder des Volksaberglaubens nahe kommen – Themenkreise, die den Künstler in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder beschäftigt haben.
Auch die Arbeit pica pica (Elsternarchiv) im Seitenlichtsaal verweist auf das Motiv des Vogels. Da der Seitenlichtsaal des Kunsthauses zweiseitig verglast ist, fliegen zuweilen Vögel gegen die grossen Fensterflächen. Rolf Graf nimmt darauf Bezug, indem er hinter die Glasfront CDs an Bast aufhängt, als könnten diese die Vögel von ihrem tödlichen Flug in die Scheiben abhalten. Allerdings sind die CD-Rohlinge mehr als nur abschreckende Reflektoren; sie sind Träger eines Archivs, das der Künstler zum Thema der Elster angelegt hat. Was die Vögel also zum einen von den Glasscheiben fernhalten soll, zieht die «diebischen» Elstern zum anderen mit ihrem Silberglanz geradezu an.
Die talauswärts gerichtete Nordwand im Seitenlichtsaal hat Graf mit einer Holztapete beklebt. Daraus ausgespart ist eine monumentale Lokomotive, wie man ihr in alten Western begegnen könnte. Als ob die Lokomotive ihren Dampf durch den Zwischenboden ausstossen würde, legt sich auf der fortgeführten, darüber liegenden Wand des Oberlichtsaals eine riesige Graphitwolke ab. Die Arbeit, die also nie in ihrer Gesamtheit gesehen werden kann, fungiert als Klammer zwischen Ober- und Erdgeschoss: Der Besucher sieht entweder die Negativform, welche die tonnenschwere, metallene Lokomotive hinterlassen hat oder die vom Kohlenstoffderivat Graphit abgelagerte Rauchwolke.
Im grossen Oberlichtsaal im Obergeschoss steht in der Raummitte ein aus verwitterten Brettern bestehender Zylinder. Die Grösse und Beschaffenheit der Hölzer deuten darauf hin, dass die Bretter lange Zeit im Aussenraum gestanden haben müssen: sie waren die Aussenwände eines Stalls, der im Heimatdorf des Künstlers im Appenzellerland stand. Im Kreis angeordnet, ohne Dach, hat das Gebilde seine frühere Funktion eines schützenden Unterschlupfes verloren, dennoch scheinen die Hölzer die Erinnerung an die letzten wärmenden, herbstlichen Sonnenstrahlen gespeichert zu haben. Zur natürlichen, von der Witterung produzierten Zeichnung der Bretter fügt sich allerdings ein Fremdkörper; Silberne Polsternägel, die an Einschüsse einer Schrotflinte oder an einen Sternenhimmel erinnern mögen, markieren das Werk einmal mehr mit Zeichen, welche ihm eingeschrieben aber nicht lesbar sind.
Dem Wanderer durch Rolf Grafs geistige Landschaften, stellt der Künstler im Untergeschoss des Kunsthauses – was in der Kindheitserinnerung der Keller des Familienhauses wäre – Apfelmost in einem Glasballon bereit. Man trifft also ausserhalb der Ausstellungsräume auf einen Gegenstand, den man aus einem nichtmusealen Kontext kennt und sieht sich somit mit der Frage konfrontiert, ob es sich hierbei noch um Kunst handle oder nicht. In diesem nicht-definierten Zwischenraum beginnt der Prozess des Nachdenkens, denn – wie der Künstler selbst sagt – erst am Kiosk oder an der Bushaltestelle beginnt man das Gesehene wirklich zu rezipieren.
Das Künstlerbuch Happy & Convoy, das Rolf Graf vor wenigen Monaten als Herausgeber publiziert hat, steht zwar nicht in direktem Zusammenhang mit der Ausstellung Most und Karfunkel, trägt aber verwandte Züge. Der unter dem Pseudonym Happy & Convoy in Bukarest arbeitende Künstler, lebt als Aussenseiter auf der Strasse und zeichnet auf gefundene Zettel Alltagsgegenstände wie Werkzeuge, Instrumente oder elektronische Geräte, vor allem aber Waffen, wie Pistolen und Dolche. Happys Zeichnungen sind mehr als nur Ausdruck seiner Wünsche, Sehnsüchte und Ängste; sie haben die magische Kraft, denjenigen zu schützen, der sie auf sich trägt. Rolf Grafs Arbeit ist ebenfalls geprägt von Eindrücken und Mängeln aus seiner Alltagswelt. Vergleichbar mit Happy übersetzt er diese mit einfachen Mitteln in eine Bildsprache, die in ihrer Reduktion sowohl etwas Entrücktes, wie auch Bodenständiges in sich tragen; er löst die Werke aber – ganz im Gegensatz zu den existentiellen, authentischen Zeichnungen Happys – durch einen künstlerischen Transfer von seiner eigenen Person ab. Die Entscheidung als Künstler (als Projekt für die Kunstschule F + F) die Zeichnungen eines anderen Künstlers zu publizieren, die ausserhalb jeden Kunstkontextes geschaffen wurden, verkörpert eine grundsätzliche Haltung, die sich durch Rolf Grafs ganzes Schaffen zieht: Es geht darum Grenzen scheinbar eindeutiger Kategorien zu verwischen und das eigene künstlerische Handeln zu überdenken.