7.2. – 2.5.2010
Performative Attitudes
Die Gruppenausstellung Performative Attitudes bringt mit sieben internationalen Positionen verschiedene Aspekte performativer Attitüden zusammen, in denen unterschiedliche Beziehungen zwischen Objekt, Körper, Raum und Zeit zur Diskussion stehen. Sowohl Fragen zur Herstellung, Präsentation oder Rezeption von Kunst, wie auch zum Status des Künstlers als Akteur und Performer, sind von Interesse. Während eine Performance ursprünglich als einmaliger, teils nicht wiederholbarer Live-Moment für ein anwesendes Publikum gestaltet wurde und allenfalls für spätere Dokumentationszwecke in eine Videoaufnahme überführt wurde, verwenden zeitgenössische Künstler die Performance vermehrt in der Form eines nicht abgeschlossenen, fließenden Prozesses, der an unterschiedlichen Punkten der Werkentstehung ansetzen kann. Die Performance kann einen ersten Werkstatus darstellen, sie kann sich als ein «Leftover» oder ein «Re-enactment» zeigen, oder sie aktiviert und rekontextualisiert performative Konventionen. Die Künstlerinnen und Künstler involvieren sowohl Objekte wie auch Betrachter und die Institution in prozessuale Beziehungen und Interaktionen und verweben Konzept, Wahrnehmung und Interpretation ineinander. Für die in der Ausstellung repräsentierte Generation geht es nicht mehr nur darum, eine Performance als einmaliges Event anzulegen, vielmehr werden die Spuren ihrer Aktionen ins Zentrum gerückt und die konventionellen Vorstellungen der Geschichte der Performance-Kunst herausgefordert.
Künstlerische Arbeitsmethoden, wie die von Hanna Schwarz und Seb Patane, sind den Aspekten des sich bewegenden Körpers und des sichtbaren performativen Aktes nahe. Die Besucher werden während einer Eröffnung und der Ausstellungsdauer zu Zeugen von Performances. Übrig bleiben Installationen, welche die Spuren des vergangenen Aktes aufzeigen. In der Form eines vorläufigen Resultats manifestieren sich gewisse Arbeiten als Film-Projektionen, die sich eher als integraler Bestandteil denn als reine Dokumentation der Arbeit verstehen. Oder aber es bleibt das Werk in einem Setting bestehen, welches stark an eine Theaterbühne erinnert und zu Diskussionen rund um Aspekte der Leftovers oder der Theatralität anregt. Neben diesen eher formalen Aspekten, steht die Beziehung zwischen dem menschlichen Körper und den ihn umgebenden Objekten im Zentrum dieser künstlerischen Praxis. Objekte, Raum und Zeit interagieren und üben einen gegenseitigen Einfluss auf die Wahrnehmung und Reflexion des Werkes aus.
In den Arbeiten von Nina Beier/Marie Lund, Stefan Burger, Nina Canell, Florian Germann und Navid Nuur hingegen, sind die Prozesse eher werkimmanent erfahrbar. Der Körper des Künstlers oder die physische Präsenz eines performenden Körpers ist zweitrangig oder auch inexistent. Beier/Lund zum Beispiel übergeben den performativen Teil ihrer Arbeit oftmals den Mitarbeitern einer Institution oder Besuchern einer Ausstellung. In ihrem Zusammenhang wird die zeitlich limitierte, aber während einer Ausstellungsdauer weitergeführte Performance nicht von den Künstlern selber durchgeführt, sondern dieser Akt wird sozusagen an einen möglichen Rezipienten übergeben. Auf diese Weise wird die Rolle der Institution wie auch die des Besuchers sowohl betont, wie auch hinterfragt. Nina Canell verarbeitet gefundenes (technisches, chemisches oder physikalisches) Material und verweist auf dessen wandelbaren Status, indem sie daraus experimentelle Arrangements zusammenstellt. Zentral in ihren Installationen ist der Aspekt der natürlichen Formveränderung. Das Werk bleibt nicht statisch oder stumm, sondern ändert seinen Aggregatszustand. Dabei werden seine skulpturalen sowie ephemeren Qualitäten und das darin enthaltene performative Potential untersucht. Ein zentraler Punkt in Florian Germanns Arbeitsmethode ist das Verändern von Gestalt, Form oder Struktur, ohne dass die Substanz dabei verloren geht. Der Begriff der Transformation ist hinsichtlich seines Umganges mit Wort, Bild und Material essentiell. Navid Nuur dagegen richtet seine Aufmerksamkeit auf den Aspekt der Denkprozesse. Der Künstler involviert dabei den Betrachter in seiner Interpretationsleistung als integrativen Teil der Arbeit, indem er die narrative Basis eines Werkes performativ zu verstehen und in seiner umfangreichen Ganzheit zu vollenden hat. Stefan Burgers fotografische Arbeiten sind Abbilder performativer Situationen, auf Papier, Holz oder Wand gebannt. Ähnlich dem Verständnis des Künstlers als «inhärenten Performer», thematisiert Burger das Verhältnis zwischen Produktion und Rezeption.
KURZTEXTE ZU DEN KÜNSTLERN
Das Werk von Nina Beier und Marie Lund (*1975/1976, leben und abreiten in Berlin und London) setzt sich aus Performances, Objekten wie auch immateriellen Interventionen zusammen und bewegt sich zwischen den Parametern Konzept, Wahrnehmung und Interpretation. Ihre Arbeiten sind oft ort-pezifisch und passen sich dem Rahmen eines Ausstellungskontextes an. So können zum Beispiel ganz einfache Anweisungen ans Publikum oder die Institution zu einer Involvierung der verschiedenen Akteure führen. Im Anschluss sind nicht nur die hinterlassenen Spuren wichtig, sondern auch die Situation, in der sich die Protagonisten befinden, die eine solche künstlerische Anweisung ausüben, gewinnt an Bedeutung. In der u.a. in Glarus präsentierten Arbeit The Imprint fordern die beiden Künstlerinnen zum Beispiel die Mitarbeiter der Institution dazu auf, die Beschreibungen der Exponate zu memorieren, welche die Kuratorinnen ursprünglich in die Ausstellung integrieren wollten, jedoch an diesem Vorhaben aus verschiedenen Gründen schlussendlich gescheitert sind. Die Besucher der Ausstellung werden lediglich mittels Label an der Wand von der Existenz dieser narrativ angelegten Arbeit in Kenntnis gesetzt.
Stefan Burger (*1977, Deutschland, lebt und arbeitet in Zürich) fordert mit seiner künstlerischen Praxis stets die Möglichkeiten des jeweils gewählten Mediums und des Betrachters heraus. Meist bildet die Fotografie den Ausgangspunkt seiner Arbeiten. Sie dehnt sich jedoch oftmals in den Raum aus und wird zur Bühne, indem er die fotografischen Bildträger direkt auf Holz- oder Pappwände aufzieht. Häufig sind Installationen, Videoarbeiten, 16-mm-Filme, Objekte und bühnenhafte Inszenierungen das Resultat eines Arbeitsprozesses, der den Anfang in der Fotografie nahm. Inhaltlich wie auch formal stehen die Fragen nach den Produktions- und Präsentationsbedingungen von Kunst im Mittelpunkt seiner Arbeiten. Selbstreflexiv analysiert er seine Rolle als Künstler im Entstehungsprozess. Gleichermaßen thematisiert er das Verhältnis von Produzent und Rezipient oder schafft kritische Bezüge zur Kunstgeschichte. Viele seiner Arbeiten entstehen letztendlich aus einer künstlerischen Haltung des Zweifelns und haben den Charakter einer Versuchsanordnung. Für das Kunsthaus Glarus entwickelt Burger eine gänzlich neue Arbeit, die im Speziellen auf die architektonischen Gegebenheiten des Hauses Bezug nimmt. Dabei lenkt er den Blick des Besuchers auf «unwichtige» Abläufe, die sich hinter den Kulissen des alltäglichen Lebens eines Museumsgebäudes abwickeln. Wir werden zu Akteuren und somit zu einem funktionalen Glied innerhalb der musealen Struktur.
Nina Canell (*1979, Schweden, lebt und arbeitet in Berlin) führt selbst hergestellte Objekte wie auch natürliche Fundstücke zu fragilen, experimentellen, sich verändernden Arrangements zusammen, die als Versuchsanordnungen über Veränderlichkeit bezeichnet werden können. In ihrer Ausstellung Five Kinds of Water für den Kunstverein Hamburg, hat sie fünf Arbeiten entwickelt, die sich den transitorischen Eigenheiten von Wasser auf unterschiedliche Art und Weise nähern. In der in Glarus gezeigten Arbeit Perpetuum Mobile (40 kg) (2009) verleiht sie Wasser gleich auf mehrfache Weise Präsenz: Mittels Ultraschall wird Wasser in Bewegung versetzt und Wasserdampf erzeugt, der sich langsam über den Rand eines Gefäßes in den Ausstellungsraum ausbreitet. Dieser Vorgang wird über ein Mikrophon und einen Lautsprecher zeitweise verstärkt, wodurch der Moment des Übergangs in die verschiedenen Aggregatszustände als Schallwellen hörbar gemacht wird. Der sich ausbreitende Nebel wirkt seinerseits auf einige mit Beton gefüllte Papiersäcke ein, die im Laufe der Ausstellungsdauer ihre Masse verändern. Das formlose und veränderliche Wesen von Wasser ist somit der Ausgangspunkt für Fragen nach der Formwerdung von Substanzen, ihren jeweiligen Eigenschaften und deren potenzieller Veränderbarkeit. Objekte und natürliche Ereignisse erhalten eine temporäre skulpturale, beinahe performative Form, in der sich die einzelnen Materialien gegenseitig beeinflussen und beständig in Bewegung bleiben. Eine andere Werkgruppe mit Neonröhren reflektiert zum Beispiel die Transformationsmöglichkeiten des Lichtes. In den Arbeiten von Nina Canell werden die Materialien dabei selbst zum Handlungsträger und entfalten ihre eigene zeitliche und narrative Logik.
Florian Germann (*1978, lebt und arbeitet in Zürich und Kreuzlingen) durchschreitet nach eigenen Angaben die «innere Bibliothek, um noch nicht kombinierte Möglichkeiten aufzuspüren». Seine Arbeiten sind eine Collage aus Kindheitserinnerungen, Recherchen und Erfundenem. Sowohl der Mythos des Werwolfs, der Maschinentechnik, Künstlermythologien, Elemente aus Science Fiction, experimentelle kindliche Spielereien sowie philosophisches Gedankengut finden darin Verwendung. Florian Germann eignet sich Gegenstände oder Relikte an, deren Geschichten sich in den neuen Anordnungen im Kunstwerk jedoch verlieren, beziehungsweise sich mit anderen Bedeutungsebenen aufladen. Seine Arbeitsweise ist vergleichbar mit dem akribischen Hang zur Genauigkeit eines Uhrmachers: Der Weg zur definitiven Werkform führt immer wieder über das perfekte Handwerk und die dazugehörigen Materialexperimente. Seine Werke existieren selten als einzelne Arbeiten, sondern schließen sich immer wieder zu größeren Werkkomplexen zusammen. Florian Germann erzählt seine Geschichten mittels Zeichnungen, Objekten, Installationen und Performances. Jedoch verlaufen seine narrativen Strukturen nicht in einer linearen Erzählweise und entwickeln sich nach ihrer Materialisierung weiter; Transformation der Gestalt, Form und Struktur stehen im Mittelpunkt. So ist auch das in Glarus präsentierte Werk kein abgeschlossener Werkzyklus. Ein in der Luft schwebendes Wrack eines ausgehöhlten Autohecks hängt im Oberlichtsaal. Durch ein Gewicht wird das Teilstück des Wagens wie eine Auster gewaltsam geöffnet.
Navid Nuur (*1976, Irland, lebt und arbeitet in Den Haag) weist im Zusammenhang mit seinen Werkprozessen auf den Terminus «Interimodule» hin und umschreibt seine Arbeiten als Denk-Module. Mit «Interimodulen» charakterisiert Nuur eine Sichtweise, die als ein zeitlicher «in-between“-Status von Dingen bezeichnet werden kann, deren Existenz mehr oder weniger kurz ist und deren Verflechtung untereinander auch mehr oder weniger ausgeprägt sein kann. Seine künstlerische Praxis kann vor diesem Hintergrund weder mit Skulptur noch mit Installation befriedigend umschrieben werden; beide Begriffe sind zu statisch, um dem räumlichen und zeitlichen Faktor des Werkes mit seiner Umgebung und seinem Betrachter gerecht zu werden. Mit «Module» bezeichnet Nuur seine Art von Denken und der Konzeptualisierung seiner Werke, während er mit dem Wort «interim» den Raum und die zeitliche Begrenztheit meint und somit in einer Verschmelzung der Bezeichnungen den prozessualen Charakter seiner Werke definiert. Der relativ einfache Aufbau seiner Arbeiten und die Wahl nahezu banaler, meist dem Alltag entnommener Materialien wie Wachs, Steckschwämme für Blumengestecke, Polaroidfotografien, Lebensmittel, Müllcontainer und Verpackungsmaterialien wie Tetra Pak sind Teil seines künstlerischen Regelwerks. Zudem stellt Navid Nuur immer eine sehr enge Verbindung seiner Arbeiten mit deren Titel her, der den inhaltlichen Zusammenhang und die thematische Aussage erst herstellt. Als unmittelbares Beispiel hierfür dient die Arbeit Where you end and I begin (2008-2010), welche im Anhang an die Pressemitteilung erläutert wird. In dieser Arbeit werden Kritiker, Leser und Institutions-Personal gleichermaßen zu einem essentiellen Bestandteil eines Kunstwerkes.
Hanna Schwarz (*1975, lebt und arbeitet in Berlin) rekontextualisiert in ihrer Arbeit unterschiedliche Traditionen des Minimalismus und der frühen Performance-Kunst. Ihre Filme, Videos, Zeichnungen, Objekte und Skulpturen können als Spuren abwesender Szenerien gelesen werden. In ihrer in Glarus mit neuen Skulpturen präsentierten Arbeit Rehearsal (2008) zum Beispiel referiert die Künstlerin auf die Choreografin Yvonne Rainer und damit auf den femininen Körper im postmodernistischen Tanz. Vier Tänzer werden durch die Kamera bei den Proben von Tableaux-vivants-Posen beobachtet, welche die Künstlerin ihnen vorgibt. Für ihre Präsentation von Rehearsal hat sie eine speziell auf die Räumlichkeiten des Kunsthaus Glarus angepasste Installation entwickelt. Dabei kann die Installation durchaus als eigenständige Arbeit betrachtet werden. Auch die Elemente der Installation kreisen stark um das Thema des Tanzes - Bewegung, Musik und Rhythmus. Das Arrangement eines Stoffes untermalt die gesamte Installation mit einer bühnenartigen Stimmung. Andere Arbeiten von Hanna Schwarz verweisen auf verschiedene Traditionen der Performance-Geschichte, so auch auf Oskar Schlemmers Triadisches Ballet (1922) oder auf Bruce Naumans Walking in an Exaggerated Manner around the Perimeter of a Square (1967/68), womit auch eine Brücke zum Thema des agierenden oder nicht agierenden Künstlers im Atelier geschlagen werden kann. Hanna Schwarz gehört zu einer jungen Generation von Künstlerinnen, welche die Geschichte der Moderne untersucht und den Einfluss auf den zeitgenössischen Diskurs neu bewertet.
Seb Patane (*1970, Italien, lebt und arbeitet in London) entwickelt dreidimensionale Tableaux, auf die er Zeichnungen, gefundene Bilder und Objekte appliziert. Ebenso stellen Sound- und Musik- Performances wichtige Bestandteile seiner künstlerischen Praxis dar. Er zieht für sich interessante Quellen heran, die sich oftmals um Themen wie Tribalismus, urbane Mythologien und politische Protest-Performances drehen. Durch den Prozess des Filterns und einfacher Interventionen arrangiert er Bilder und Objekte in minimalen Settings, die sich wiederum in Überbleibseln als Leftovers einer performativen Situation niederschlagen. Im Kunsthaus Glarus präsentiert Seb Patane zwei neue Werkkomplexe, die er erstmalig bis vor kurzem bei Maureen Paley in London zeigte. Der Künstler kombiniert hier das gefundene historisch-politische Bildmaterial aus dem frühen 20. Jahrhundert mit einer Vintage-Fotografie seines Großvaters. Zusätzlich lassen sich uniformierte Soldaten in einem osteuropäischen Setting auf weiteren fotografischen Abbildungen identifizieren. Seb Patane wird auch seine neue Video-/Sound-Installation Chariot, Fool, Emperor, Force (2009) präsentieren, die anlässlich der Eröffnung in London von Frontier, Frontier! (es handelt sich dabei um Patanes Musik-Projekt, welches er zusammen mit dem Musiker Giancarlo Trimarchi gründete) als Performance aufgeführt wurde. In Glarus wird diese Arbeit als teil-inszenierte Dokumentation der Performance präsent sein. Der Titel der Arbeit referiert im Speziellen auf die Tarot-Gedichte von Autor und Künstler Alejandro Jodorowski.