17.5. – 16.8.2009
Kilian Rüthemann Sooner Rather Than Later
Kilian Rüthemann (*1979 in Bütschwil, lebt und arbeitet in Basel) zeigt in seiner Einzelausstellung neue Arbeiten sowie eine Intervention mit Werken der Sammlung des Glarner Kunstvereins.
Rüthemann beschäftigt sich immer wieder mit der gegebenen Situation eines Ausstellungsortes. Er untersucht die architektonischen und räumlichen Qualitäten und greift durch präzise, minimale Interventionen auf überraschende Weise ins vorhandene Gefüge ein. So nimmt er Räume in Beschlag und beeinflusst subversiv die Wahrnehmung des Publikums. Er gehört zu einer jungen Generation von Kunstschaffenden, die sich erneut formalen und ästhetischen Fragestellungen in der Skulptur widmen, sich aber gleichzeitig für Transformations- und Auflösungsprozesse statt Statik und Dauerhaftigkeit interessieren. Die Werke bleiben meist temporäre Setzungen, die nach der Ausstellung wieder in den Originalzustand zurückversetzt werden. Die Transformation des Arbeitsmaterials entspricht quasi einer Veränderung seiner Aggregatszustände. Rüthemanns Interesse gilt dem Unsteten und Wandelbaren, dem Aufbau und Verfall – sowohl in seinen Werken als auch in der Architektur der Ausstellungsorte. Der Titel der Ausstellung (Deutsch: «lieber früher als später») bezeichnet eine eigentümliche Zwischenzeit eines Prozesses, in welcher der Künstler seine Werke verortet.
Kilian Rüthemann ist gelernter Bildhauer, arbeitet jedoch nur selten mit klassischen Werkzeugen und Materialien. Dennoch ist das Handwerk des Künstlers in seiner Arbeit von zentralem Interesse. Im Seitenlichtsaal baut er eine Tisch-Plattform für die Marmor-Skulptur More than This (2009). Das Podium bildet den übergrossen Sockel für das Objekt, das Rüthemann aus Carrara-Marmor geschaffen hat. Die Arbeit zeigt den flüchtigen Moment des Auftürmens einer in den Himmel wachsenden Dampfsäule, wie sie etwa einem AKW entweicht. Das Material des Steins widerspricht der eigentlich ephemeren Situation und beim Näherkommen wird das Pathos der barocken Wolkendarstellung durch eine Miniaturisierung des Objektes sofort wieder aufgehoben. Rüthemann dekonstruiert das Monumentale und bezieht sich auf einen erweiterten Skulpturbegriff des Ephemeren und Anti-Monumentalen. So nimmt er zentrale Themen der Bildhauerei und Referenzen zu skulptur-theoretischen Auseinandersetzungen seit den 60er und 70er Jahren auf und verarbeitet sie in eigener Weise. Zu jener Zeit beschäftigten sich einerseits die Minimalisten mit dem Objektcharakter von Kunst, während andererseits die Performancekunst und Process Art auf die Involvierung des Publikums zielte und damit eine Dematerialisierung des Werkes zugunsten einer gesellschaftlichen Funktion vorantrieb. In Rüthemanns Arbeit spielen beide Aspekte eine Rolle. Das Publikum wird aufgefordert, auf den Sockel zu steigen und sich physisch der Skulptur zu nähern und dabei zum Akteur auf der Bühnen-Plattform zu werden. Wolkendarstellungen haben eine lange kunsthistorische Tradition, die in dieser Arbeit ebenso mitschwingt. Das Dramatische und Romantische in den Wolkenmotiven der Landschaftsmalerei besitzt auch heute noch Aktualität im Atmosphärischen, Unbestimmten und in der Dematerialisierung des virtuellen Raums. Das Bild der aufsteigenden Wolke ist heute mehr denn je ambivalent. Es erinnert ebenso an Luftverschmutzung, atomare Bedrohung oder Naturkatastrophen und ist nach wie vor von ästhetischer Faszination. Rüthemann bietet dem Betrachter keine abschliessende Interpretation – lässt ihn also mit Absicht im Nebel stehen. Er deutet eine Vielzahl von Fragestellungen zur Bedeutung der Skulptur im heutigen Kontext an, zu deren Reflexion er auffordert.
Im Oberlichtsaal demontiert Rüthemann Teile der gläsernen Decken-Konstruktion und verlagert sie in eine Raum-Installation. Die Glaselemente durchkreuzen den Raum diagonal und werden dabei von einer aufwändigen Gerüst-Konstruktion gestützt. Mit dieser Transformation wird die Architektur selber zum Objekt der Ausstellung, mit dem der Künstler arbeitet. Der Umbau erinnert an die Aufbauten von Achterbahnen in Vergnügungsparks. Das Spiel mit der Schwerkraft ist ein Teil der Faszination dieser Installation, die den Titel X (2009) trägt. Bei der Umlagerung der Deckengläser spielt die Gefahr eines möglichen Sturzes eine Rolle. Die fragilen Originalgläser müssen sehr sorgfältig in ihre neue Position gebracht werden. Die Intervention ist minimal und spektakulär zugleich und setzt ein starkes Zeichen. Sie legt aber auch neue Blicke in die Dach-Konstruktion frei, die dem Publikum im Normalzustand verschlossen bleibt und ermöglicht so einen Blick hinter die Kulissen der Museums-Architektur.
Im Treppenhaus fügt er dem Kunsthaus, ebenfalls mit einer skulpturalen Geste, Beton-Schichten hinzu. Die etwas rohe Baustellen-Atmosphäre, die sich hier für einen Moment ausbreitet, widerspricht der sachlich-modernen Architektur des Kunsthauses und verunsichert gleichzeitig den Gang ins Obergeschoss.
In der Serie Very Short Moment (2009) zeigt Kilian Rüthemann eine Reihe von Silexklingen, die er von einem Steinzeit-Experten anfertigen liess. Die Objekte illustrieren die elementare Geste des Schlagens und die Präzision des Wegbrechens, wie sie bei der Herstellung von Speerspitzen und Messern angewandt wurde und auch in der Arbeit des Bildhauers zentral ist. Die Arbeit kombiniert die Präzision des Handwerkes mit der Schönheit des Zufalls.
Die mutwillige Einwirkung des Menschen, die Nutzung sowie die Zerstörung von Material ist auch ein Thema im Schneelisaal. Dort zeigt Kilian Rüthemann eine Raumarbeit, Ohne Titel (Glarus, 2009), mit zerbrochenen Leuchtstoffröhren, die in einem seriellen Muster über die gesamte Bodenfläche ausgebreitet sind. Auch hier zitiert er verschiedene Positionen der Kunstgeschichte, Dan Flavins Neon-Arbeiten, die Raum-Installation The 2000 Sculpture (1999) von Walter de Maria im Kunsthaus Zürich und bezieht sich auf die damit verbundenen Diskussionen. Rüthemann geht es um das industriell gefertigte und für den Alltagsgebrauch bestimmte Material und um die präzise Taktung der ausgelegten Strukturen in einem spezifischen Raum. Ein weiterer Aspekt der Arbeit liegt in der Betonung der Fragilität und der Zerstörung des Materials sowie in der potentiellen Bedrohung der Betrachterin und des Betrachters durch die Scherben auf dem Boden. An diesen Scherben kann man sich nicht nur schneiden, sondern es droht auch eine unsichtbare Gefahr. Bei der Zerstörung der gebrauchsfertigen FL-Röhren hätte gasförmiges Quecksilber entweichen und die Gesundheit der Betrachtenden gefährden können. Der Künstler hat die Leuchtstoffröhren jedoch frühzeitig aus dem Produktionsprozess genommen und für seine Zwecke abgewandelt, sodass diese Gefahr nicht besteht.
Im Untergeschoss arbeitet Rüthemann mit ausgewählten Werken der Sammlung des Glarner Kunstvereins. Er verwendet dramatische «Wetterbilder» von Johann Gottfried Steffan, Balz Stäger, Adolf Stäbli, Leberecht Lortet, Traugott Schiess, Albert Gos und Rudolf Tschudi, die sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit Wolken- und Wasserphänomenen in Berglandschaften auseinandersetzten, als Material für die Installation Heranziehendes Gewitter (2009). Mit den Bildern installiert Rüthemann etwa ein virtuelles «Berg-Tal». Auch hier sind verschiedene Aggregatszustände, Wasser, Wolken und Nebel, die Ausgangspunkte für Betrachtungen zu Flüchtigkeit und Wandel von Zuständen. Ausserdem stellt er konventionelle Präsentationsformen in Frage, indem er die Bilder in eine Installation überführt. Er fordert damit konservatorische Fragestellungen heraus und bringt weitreichende Diskussionen um museale Konventionen in Gang. Rüthemann stellt mit seiner Arbeit, die mit Material vor Ort arbeitet, nicht selten sehr hohe Anforderungen an den Ausstellungsbetrieb. Er leistet damit auch ein institutionskritisches Statement.
Im Rundgang durch die Ausstellung wiederholen sich verschiedene Motive, Materialien und Konstruktionselemente in unterschiedlichen Konstellationen: Organische Wolke und geometrische Figur, Gerüst und Glas, Schnitt und Ebene. Es entsteht ein endloser Interpretations-Kreislauf.
Die Elemente innerhalb der Ausstellung verweisen immer wieder auf sich selbst. Die Ausstellung bleibt dennoch kein geschlossenes System, sondern deutet Themen und Motive aus der Kunst- und Kulturgeschichte an. Die Arbeiten beinhalten zudem einen zivilisationskritischen Aspekt und zeigen eine künstlerische Haltung, die dem Dauerhaften, Statischen und Rationalen misstraut.
Rüthemanns Interesse gilt nicht nur der Konstruktion, sondern auch der Dekonstruktion, den Überresten und Abbauprozessen von Natur und Zivilisation.