15.2. – 3.5.2009
Nina Fischer & Maroan El Sani The Beauty of the Imperfect, Impermanent and Incomplete
Nina Fischer & Maroan el Sani (*1965, 1966, leben und arbeiten in Berlin und Sapporo) arbeiten seit Beginn ihrer Zusammenarbeit 1993 mit den Medien Video und Film. Die Schauplätze der Videos und Filme des Berliner Künstlerpaares sind Orte, die von einer architektonischen Utopie oder einer städtebaulichen Vision geprägt sind. Einst Symbole gesellschaftlichen Aufbruchs, sind sie heute oft verlassene, teils verwitterte Ruinen oder ungenutzte Leerräume zwischen Vergangenheit und Zukunft. Fischer & el Sani lassen fiktive Akteure von diesen Kulissen Besitz nehmen. Sie füllen die leeren Utopien mit neuen Aktivitäten und Geschichten. Es entstehen filmische Neuinterpretationen der zugrunde liegenden Funktions- und Gesellschaftskonzepte mit vielfältigen Überlagerungen und Referenzen aus Film- oder Kunstgeschichte. Unsichtbares, Unheimliches und die Frage der Materialisierung von Gedanken, Erinnerung und Ängsten sind zentrale Motive in ihrer Arbeit. In der Ausstellung im Kunsthaus Glarus werden zwei Videoarbeiten, Fotografien und Paper Cuts gezeigt.
In der neuesten Arbeit Spelling Dystopia (2008), einer 2-Kanal-Videoinstallation, beschäftigen sich Fischer & el Sani mit der japanischen Insel Hashima, die aufgrund ihrer Geschichte - einem raschen Aufstieg und jähen Niedergang - eine globale Symbolkraft hat. Ursprünglich nur ein Fels im Meer vor Nagasaki, wurde ab 1887 auf der Insel Kohle abgebaut. 1916 wurde dort das erste Stahlbetonhochhaus Japans errichtet. Während des 2. Weltkriegs war sie Arbeitslager für Kriegsgefangene aus China und Korea. Nach dem Krieg hatte die kleinflächige Insel die höchste Bevölkerungsdichte der Welt, bevor sie 1974 aufgrund ihrer Ausbeutung entvölkert wurde. Seither ist die Insel unbewohnt und dem Verfall preisgegeben. Einer jüngeren Film- und Video-Generation ist der Ort bekannt als Geisterinsel und düsterer Drehort für dystopische Science-Fiction-Szenarios, etwa für den Film Battle Royale (Kinji Fukasaku, 2000) oder aus Manga, Anime und Videospielen. Die Videoarbeit verbindet auf einer gesprochenen Textebene Erinnerungen eines ehemaligen Bewohners der Insel mit Nacherzählungen von Schülerinnen zum Film Battle Royale. Für den Betrachter der Videos vermischen sich Realität und Fiktion zu komplexen Überlagerungen von Erinnerung. Die verwilderte Insel wird zum Projektionsfeld für vielerlei Geschichten. Ihre historische Geschichte verschwimmt zunehmend.
In der Arbeit The Rise (2007) setzten sich Nina Fischer & Maroan El Sani während eines Aufenthaltes in Amsterdam mit dem neuen Hochhausviertel Zuidas (Südachse) auseinander, das entlang der Ringautobahn im Süden Amsterdams nach klassischen Visionen der modernen Metropole entsteht. Auf einer Fluchttreppe am Büroturm des Architekten Rafael Viñoly, die als Einschnitt in der Fassade gestaltet ist und spiralartig das Gebäude umrundet, erklimmt ein Mann das Gebäude. Der Protagonist vereint alle Merkmale des erfolgreichen Büroangestellten in sich. Er irrt endlos die Treppen hinauf. Angetrieben von einem ziellosen Ehrgeiz und der Einsamkeit entfliehend, begegnet er mehreren Hindernissen, Angstvorstellungen, einem Doppelgänger und einem imaginären Kind. Oben angekommen, entdeckt er im gegenüberliegenden Gebäude erneut einen Doppelgänger und wird an den Anfang der Treppe zurückgeworfen, um die Flucht nach oben, die Endlosschleife seines Aufstiegs, erneut anzutreten. Die Arbeit nimmt Referenzen zu Hitchcocks Vertigo (1958) und Piranesis Architekturfantasien in den Druckgrafiken der Carceri d’invenzione (1750-1761) auf. Beides sind Sinnbilder albtraumhafter Angstzustände und labyrinthischer Schreckensvisionen. Auch im Video werden Schwindel, Kontrollverlust und das Gefühl von Einsamkeit in einer überwältigenden Monumentalität als Schattenseiten des Erfolgstrebens spürbar. So wird die Arbeit als gesellschafts- und architekturkritischer Kommentar zu Amsterdams ehrgeizigen Städtebauentwicklungen lesbar.
Eine Fotografie, die Viñoly Stairways (2007) und zwei Papierarbeiten, die de Quincey Cut Outs (2007), nehmen die Piranesi-Fantasien, u.a. aus ihrer literarischen Verarbeitung bei Thomas de Quincey’s «Bekenntnisse eines englischen Opium-Essers» auf. Dort wird beschrieben, wie Piranesi in der Architektur seiner eigenen Carceri-Stiche gefangen erscheint. Auch für den jungen Mann scheint es kein Entkommen aus der Endlosschleife des Aufstiegs und seiner Beobachtung zu geben.