1.9. – 24.11.2013
Yorgos Sapountzis Urnerknabe am Schaufenster / Empathie
Yorgos Sapountzis (*1976 in Athen, lebt und arbeitet in Berlin) setzt historischen Statuen und Denkmälern mit choreografierten Performances, fragilen Installationen und Videos seine zeitgenössische und subjektive Perspektive entgegen. Diese Annäherungen an Skulpturen geschehen mit unterschiedlichen Strategien und Medien, die zu komplexen Installationen verwoben werden: Die Skulpturen werden in oft nächtlichen Perfomances von dem Künstlerumtanzt, besetzt, bedeckt oder verändert. Mit instabilen und einfach transportierbaren Materialien wie Aluminium, Klebeband, bunten Stoffen oder Zeitungen umgarnt und verwickelt Sapountzis die steinernen und bronzenen Körper in eine eigene Narration, lässt für seine Performances Musik komponieren; in Anlehnung an Theater und Szenografien werden die Skulpturen in neuen Kontexten in Szene gesetzt. Aneignung geschieht auch durch Gipsabgüsse der Skulpturen, die für Sapountzis die Essenz der jeweiligen Skulptur darstellt. Aus Filmsequenzen der Performances entstehen gemischt mit anderen Aufnahmen von Skulpturen und Räumen bunte, collagierte Videoarbeiten, die wiederum auf Installationen in der Ausstellung projiziert werden. Was entsteht sind hybride Installationen in den Zwischenräumen von Geschichte und Gegenwart, Erinnern und Erleben, Kollektivem und Persönlichem. In seiner ersten Einzelausstellung in der Schweiz im Kunsthaus Glarus wird Yorgos Sapountzis neue Arbeiten zeigen, die für die Ausstellung im Dialog mit Skulpturen aus der Museumssammlung entstanden sind, und diese mit bereits bestehenden Arbeiten in einer dichten Installation über zwei Stockwerke präsentieren. Sapountzis Arbeiten, die er selbst als «parasitäre Skulpturen» bezeichnet, setzten sich in den vergangenen Jahren vor allem mit der Bedeutung von Skulpturen und Denkmälern im öffentlichen Raum auseinander. Ausgangspunkt für die Glarner Ausstellung Urnerknabe am Schaufenster / Empathie sind Skulpturen der Museumssammlung, anhand derer Sapountzis die Möglichkeiten der individuellen Interaktion mit dem Medium Skulptur befragt. Bereits im Ausstellungstitel taucht der Begriff der Empathie (griech. empátheia = Leidenschaft) auf, der für Einfühlungsvermögen steht und grundlegend für Sapountzis künstlerische Praxis ist: Skulpturen sind für Sapountzis voller symbolischer Energien, «sprechende» Körper und Träger von Erinnerung und kultureller Wertsetzung, mit denen er in Dialog tritt; er nähert sich den Skulpturen weniger über ihre historisch-politischen Bedeutungen als durch Einfühlung, Interaktion und poetische bis subversive Aneignungen. Als einer der «Protagonisten» der Ausstellung in Glarus taucht bereits im Ausstellungstitel der Urnerknabe auf, eine kleine Bronzeskulptur des Schweizer Künstlers Ernst Thomas Gubler (1895–1958). Mit dieser und anderen Skulpturen der Sammlung entwickelt Sapountzis auf zwei Stockwerken eine für sein Werk charakteristische, multimediale Neuinszenierung: Präsentiert werden die ausgewählten Skulpturen der Sammlung von Sapountzis an den grossen Fensterfassaden des Seitenlichtsaal, aufgereiht wie an einem Schaufenster, was eine ambivalente Spannung zwischen museal-historischem und kommerziellem Display, Innenraum und Aussenraum erzeugt. Gipsabgüsse einzelner Skulpturenteile werden im Kontext von neuen und bereits bestehenden Installationen gestellt und befragen das Verhältnis von Original und Kopie, Ganzem und Fragment. In einer neuen, für die Ausstellung produzierten Videoarbeit werden sich Aufnahmen der eigenen künstlerischen Arbeit, Produktionsprozess und filmische Annäherung en an die Skulpturen der Museumssammlung überblenden und in die Installation integriert. Sapountzis bezieht in seine Inszenierung der Museumsskulpturen auch bereits bestehende Arbeiten ein, die Fragen der Einfühlung, Wahrnehmung und Identitätsbildung aufgreifen, so z.B. Die Pathologie des Spiegeleingangs (2011), eine Installation, die sich auf Lacans Theorie des kindlichen Sich-Selbst-Erkennens im Spiegel bezieht, oder Kindererinnerung von Form und Farbe am Alten Friedhof (Kuddelmuddel) von 2012. Die beiden Ausstellungsräume im Untergeschoss sind einer Auswahl von Sapountzis Videoarbeiten der letzten Jahre gewidmet, die einen erweiterten Einblick in die Arbeitsweise des Künstlers ermöglichen. Sapountzis Werk bewegt sich zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Unordung und der Bildung neuer Strukturen. Produktion und Rezeption eines Werkes lassen sich nicht mehr trennen, sein Werk erscheint vielmehr im Prozess konstanter Veränderung und Neuformierung. «Ich versuche», erklärt Sapountzis, «eine Beziehung aufzubauen, damit das Werk am Ende nicht das ist was ich produziert habe und auch nicht, was schon existierte, sondern vielmehr die Beziehung zwischen diesen beiden Welten».