21.9. – 23.11.2008
Huber.huber Vor der Vergangenheit
Das Kunsthaus Glarus zeigt die erste institutionelle Einzelausstellung der Künstler Markus und Reto Huber (*1975, leben und arbeiten in Zürich). Die Zwillingsbrüder haben in den letzten Jahren vor allem mit Collagen und Zeichnungen, aber auch mit skulpturalen Arbeiten auf sich aufmerksam gemacht. Ihre Arbeiten drehen sich um Natur und Zivilisation. Ihr ambivalentes Verhältnis zu Naturwissenschaft und Gesellschaft changiert zwischen Skepsis und Faszination, Ironie und Skurrilität. In der vermeintlichen (Natur-)Idylle lauert stets der Abgrund. So ist in der Ausstellung die potentielle Katastrophe dauernd präsent.
Im Seitenlichtsaal ist die Sicherheit der zivilisatorischen Errungenschaften und damit die menschliche Existenz bereits ein erstes Mal gefährdet. Huber.huber haben hier das Campingzelt ihrer Kindheit und Jugend aufgeschlagen. Mit der Offenheit des Seitenlichtsaals zum Park sind Natur und Campingromantik sofort auch im Innenraum präsent. Die temporäre Behausung bietet allerdings keine Geborgenheit und keinen Sichtschutz, sondern ist aus billiger, transparenter Baufolie gefertigt. Hingegen ist in der Nacht der Blick in die Sterne aus dem Zelt hinaus abenteuerlich. Das Thema des Zelts, das Assoziationen zwischen Flüchtlings-, Nomaden- und Abenteuerbehausung aufruft, haben die Künstler bereits in früheren Arbeiten aufgenommen und beispielsweise in einer Zeichnungsserie auf ihre formalen und typologischen Qualitäten hin untersucht. Mit einer Feuerstelle, dem Fireplace (2008), wird die vermeintlich romantische Stimmung weitergeführt. Die verkohlten Skulpturen unbestimmter fremder Kulturen, die in der Feuerstelle liegen, werfen jedoch eine Reihe von Fragen auf, die nicht abschliessend beantwortet werden können. Unter welchen Bedingungen verbrennt eine Kultur eigene oder fremde Kunstgegenstände? Handelt es sich bei den Skulpturen um künstlerische Artefakte oder sind es eher wertlose Souvenirs der Tourismus-Industrie? Oder wird hier vielleicht sogar ein Kunstraub vertuscht? Die Szenerie ist verlassen und apokalyptisch. Von Menschen ist keine Spur zu sehen. Sind sie etwa auf der Flucht vor Meteoriten? Diese Frage stellt sich möglicherweise im Gegenüber mit den Collagen, auf denen kleinstädtische Idyllen in gefundenen Fotografien durch heranrasende Meteoriten bedroht sind. Ein Fliegenschwarm, mit dem Titel Lethe (2008) - nach der altgriechischen Mythologie ein Fluss in der Unterwelt - deutet wiederum ein verhängnisvolles Szenario an. Der konservierte Schwarm toter Insekten, der über dem Boden hängt, assoziiert sowohl das fruchtbare Leben als auch den Tod. Hier greift der Ausstellungstitel, der eine apokalyptische Vergangenheit assoziiert, besonders treffend: In der Antike bedeutete das Wort Aletheia Wahrheit und Vergesslichkeit. Die Griechen glaubten, dass die verstorbenen Seelen aus dem Fluss trinken mussten, bevor sie wiedergeboren wurden, so dass sie sich nicht an ihre vorherigen Leben erinnerten. Auch der Ausstellungstitel wirft Fragen zur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf, die in einem Prozess des Vergessens zu verschwimmen scheinen.
Eine direkte Bedrohung erfahren die Besucherinnen und Besucher im Treppenhaus, wo ein kilogrammschwerer Meteorit, der Meteorite Recon # C-081 (NWA) von 2008, über ihren Köpfen kreist. Das kosmische Gestein wurde in Nordwestafrika gefunden, von den Künstlern gekauft und im Kunsthaus in eine neue Umlaufbahn versetzt. Auch der Meteorit ist ein Element, das huber.huber in unterschiedlichen Formen aufnehmen. Im Zusammenhang mit dem Ausstellungstitel Vor der Vergangenheit wird er quasi zum Leitmotiv der potentiellen Gefährdung. Gleichzeitig ist er aber auch von wissenschaftlichem Interesse und sammlerischer Faszination.
huber.huber arbeiten oftmals in Serien, verfolgen ein bestimmtes Thema über längere Zeit oder nehmen einen Aspekt zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf. Ein Fundus an gesammelten Büchern und Zeitschriften bildet den Hintergrund ihrer Collage-Arbeiten. Sie experimentieren und verdichten die herausgelösten Elemente so weit, bis sie zu vielschichtigen Kompositionen und ambivalenten Bildern mit erzählerischem Gehalt finden. Doppelbödigkeit und Abgründigkeit, aber auch Symbolhaftigkeit und Metaphorik kennzeichnen die Arbeiten.
Die Collageserie Dark Grounds (2007/08), die im Schneelisaal gezeigt wird, erzählt von abgründigen Begegnungen zwischen Mensch und Natur. In den Bildern entfalten sich in traumhaft-skurrilen Überlagerungen von Mensch und Tier, Mutationen und Umkehrungen von Grössenverhältnissen hintersinnige Geschichten einer geheimnisvoll entrückten Welt. Meist nimmt die Natur über die Zivilisation überhand. In einer Serie von Tryptichons, dem Sechstagewerk (2008), stehen zivilisatorische Errungenschaften, Natur und Technik, Mensch, Pflanzen und Tiere ebenfalls in anspielungsreichen Collagierungen gegenüber. Der Bezug auf den Bibeltext zur Schöpfung der Welt, in dem Gott die Menschen auffordert, sich die Erde untertan zu machen und über Tier- und Pflanzenwelt zu herrschen, wird in den Gegenüberstellungen von Natur und Künstlichkeit, aber auch Überzüchtung und Verwüstung geradezu zwiespältig. Im selben Saal, in einer ebenso nebulösen grossformatigen Kohlezeichnung, der Handhabung (Landschaft) von 2008, versteckt sich hinter der Idylle der dargestellten beinahe romantischen Hügellandschaft im Nebel der Ort des ersten Untergrund-Atomversuchs der UdSSR. Die vermeintlich schlafenden Wölfe, die als Skulpturen im Raum liegen, sind tot, gejagt und abgeschossen, weil sie nach ihrer erneuten Einwanderung in die Schweiz zu weit ins menschliche Territorium vordrangen und die Zivilisation bedrohten. Huber.huber zerlegten professionelle Modell-Nachformungen eines durchschnittlichen Tieres dieser Spezies, die als Grundlage der Tierpräparation gebraucht werden, setzten sie neu zu liegenden Tieren zusammen und zeigen sie nun im Museum.
In einer Serie von grossformatigen Kohlezeichnungen, den Handhabungen (2008), die im grossen Oberlichtsaal gezeigt werden, greift der Mensch in wissenschaftlichen Experimenten in die Phänomenologie der Natur ein. Die kleinformatigen Vorlagen für diese Kohlezeichnungen sind aus antiquarischen populärwissenschaftlichen Zeitschriften und der naturwissenschaftlichen Literatur entliehen. Es sind Darstellungen einfacher Versuche mit Tieren und Pflanzen oder von wissenschaftlichen Errungenschaften, wie z.B. das Bild des Schädels der ersten Hirnoperation oder von Hypnose-Experimenten mit Vögeln. Ausschlaggebend für die Faszination dieser Vorlagen ist auch die Tatsache, dass in den kleinformatigen Schwarz/Weiss-Abdrucken meist eine menschliche Hand das Geschick der Natur verändert und zum Schöpfer neuer Kreationen wird. Auch die Schönheit der mit Totenkopf-Scherenschnitten gezierten Schmetterlinge mit dem Titel Leichter als 21 Gramm (2008) täuscht nicht darüber hinweg, dass es sich um menschliche Eingriffe mittels Laserbearbeitung handelt. Die Symbolik des Schmetterlings schwankt zwischen Sinnbildern der Seele, Unsterblichkeit, Transformation und unglücksbringendem Todesboten. Besonders der Totenkopfschwärmer mit seiner Zeichnung auf dem Rücken, die an einen Totenschädel erinnert, galt vielerorts als Unglücksbote. In diesen Arbeiten sind Tierversuche und Gentechnologie implizite Weiterführungen der Experimente, die huber.huber zur Darstellung bringen. In einer Installation mit dem Titel Die andere Seite (2008) wird im selben Raum möglicherweise gegen solche Technologien protestiert. Gleichzeitig sind die weissen Transparente offen für jede andere politische Meinung und weisen auf die Austauschbarkeit politischer Statements und Überzeugungen hin.