12.2. – 6.5.2012
Daniel Gustav Cramer Works
Daniel Gustav Cramer (*1975 in Neuss/DE, lebt und arbeitet in Berlin) hat den Blick für das Aussergewöhnliche im Gewöhnlichen. Er schärft das Auge für die Lücken der Welt und führt in seinen Arbeiten an die Grenzen der menschlichen Wahrnehmungs- und Denkweisen. Dabei experimentiert er mit den Bruchstellen von räumlicher und zeitlicher Kausalität und macht sie in Bildern und abstrakten Erzählungen sichtbar. Leerstellen und Auslassungen, Wiederholungen und Überlagerungen sind wesentliche Elemente seiner künstlerischen Praxis. In den Zwischenräumen seiner Fotografien, Videoarbeiten, Skulpturen, Texten und Büchern entfaltet sich eine Poesie, die grundlegende und unerklärbare Themen der menschlichen Existenz umkreist: neben Zeit und Raum geht es auch um Fragen von Natur und Kultur, Geschichte und Gegenwart, Präsenz und Leere, Subjektivität und Objektivität, Rationalität und Mysterium, Gewissheit und Zweifel in der vermeintlich durchgängig rationalisierten Welt. Daniel Gustav Cramer knüpft mit seinen Arbeiten ein Netz unsichtbarer und rätselhafter Verbindungen, die die Welt vielleicht im Kern zusammenhalten.
In seiner Einzelausstellung im Kunsthaus Glarus zeigt der Künstler erstmals seine neue Videoarbeit mit dem Titel Orrery (2012). «Orreries» sind mechanische Geräte, die den Umlauf der Planeten um die Sonne veranschaulichen und seit dem 18. Jahrhundert konstruiert werden. Sie dienten im Zeitalter der Entdeckungen als Anschauungsobjekte für Philosophen und als Sammlerstücke in Kuriositätenkabinetten. Daniel Gustav Cramer schildert in seiner Videoarbeit Begegnungen mit einem der letzten heute noch praktizierenden Orrery-Handwerker, der in der Nähe von Melbourne als Eremit in einer bescheidenen Hütte lebt und solche Planetenmaschinen baut. Daniel Gustav Cramer umkreist, fast ausschliesslich mit Text und fast ohne Bilder, die Arbeit und das Leben des Weltenbauers, der abgesondert von aller Aktualität des Weltgeschehens ein eigenes Miniatur-Sonnensystem erbaut. Bildausschnitte und Textfragmente fokussieren auf Details dieser intimen Welt, die ausserhalb von Raum und Zeit zu existieren scheint. Innerer und äusserer Kosmos, Erinnerung, Fiktion und Realität sowie Episoden der Entdeckung der Welt und des Weltraums überlagern sich und bilden eine bruchstückhafte Erzählung dieses sonderbaren Zusammentreffens.
In den beiden Oberlichtsälen im Ober- und im Erdgeschoss setzt der Künstler eine seit 2009 fortlaufende Serie von Arbeiten mit dem Titel Works fort, die er in unterschiedlichen Ausstellungskontexten immer neu arrangiert und fortlaufend ergänzt. Referenzpunkte liegen dabei in Episoden der Natur- oder der Wissenschaftsgeschichte. Sammeln, archivieren und neu arrangieren von gefundenem Bildmaterial aber auch von erlebten Momenten sind wichtige Aspekte der künstlerischen Arbeit Cramers. Intime Momente treffen dabei nicht selten unmittelbar auf grosse Ereignisse der Menschheitsgeschichte oder gar geometrische Abstraktionen in Form von Skulpturen und Objekten. Die Fotografie Untitled (Eusebius – Jerome, 2009) etwa zeigt das Bild der lateinischen Übersetzung der griechischen Chronik des Eusebius von Caesarea durch St. Jerome (Sophronius Eusebius Hieronimus). Bei der Chronik von Eusebius, die von St. Jerome nicht nur übersetzt sondern auch erweitert wurde, und die heute in der Bodleian Library in Oxford liegt, handelt es sich um eine Beschreibung der Menschheitsgeschichte, beginnend bei Adam und Eva bis zum Jahr 379 nach Christus. In der Chronik wird erstmals eine universale Geschichtsschreibung angestrebt, die die Ereignisse der griechischen und römischen Geschichte tabellarisch auf einer kontinuierlichen Zeitachse darstellt. Das Buch spiegelt damit die Konstruktion von historischer Kontinuität und bildet den Versuch, unweigerlich entstehende Leerstellen zu überbrücken. Das Grundthema von Kontinuität und Diskontinuität von Ordnungs- und Erklärungssystemen wird auch in anderen Werken wieder aufgenommen. Eine fortlaufende Serie von skulpturalen Arbeiten mit den Titeln Sculpture I-V (2010-2012) zeigt geometrische Grundformen und –körper, die durch inhaltliche und räumliche Beziehungen verschiedene Assoziationen in Gang setzen. Eine Reihe von Fotografien, oftmals Landschaften und Tiere, fokussiert beiläufige Momente, in denen entweder innerhalb oder zwischen benachbarten Fotografien Spannungen entlang von zeitlichen oder räumlichen Polen sichtbar werden. Vielen Arbeiten ist ein Hang zu düsterer und geheimnisvoller Melancholie eigen. Obwohl der Künstler zweifellos eine romantische Flucht aus der Hektik der Stadt in die Natur betreibt, bleibt er mit der Kamera immer ein rationaler Beobachter. Mit dieser Haltung beschäftigt er sich nicht zuletzt mit dem Reiz wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse, die auf der Beobachtung der Welt basieren und zeigt gleichzeitig immer auch ihre Konstruiertheit und Fehlerhaftigkeit. Auf den Spuren der letzten verbleibenden Geheimnisse der menschlichen Existenz schafft er Gegenpole zu den vermeintlichen Gewissheiten einer rein rationalen Wahrnehmung der Welt. Angesichts der rasanten und kaum noch überschaubaren Entwicklung zweckrationalen, wissenschaftlichen Wissens thematisieren die Werke grundlegende philosophische Fragen menschlicher Existenz, in denen Poesie und Mysterien einen ebenso wichtigen Stellenwert einnehmen.