14.9. – 16.11.2003

Julika Rudelius You Can’t Stay in the 80s Wearing Cowboy Boots While the Whole World Progresses

Die in Amsterdam lebende Künstlerin Julika Rudelius (* 1968 in Köln, lebt und arbeitet in Köln) untersucht mittels Video und Fotografie Aspekte des menschlichen Verhaltens. Ihr Blick richtet sich dabei vor allem auf kommunikative Codes, auf Mimik, Gestik, geschlechterspezifisch und kulturell geprägte Verhaltensmuster. Die Künstlerin studiert alltägliche Interaktionen, verfremdet diese durch subtile Re-Inszenierung und übersetzt die Realität damit in eine dem Alltäglichen entlehnte Fiktion. Um unsere Sehgewohnheiten, unsere (durch die Medien und gesellschaftliche Vorurteile) vorgefassten Vorstellungen von Menschen anderer Kulturen zu hinterfragen, überzeichnet sie gewisse Rollenmodelle in ihrer visuellen Umsetzung zu Stereotypen und Klischees.
Das Kunsthaus Glarus zeigt nun die Videoarbeiten der Künstlerin zum ersten Mal in einer Einzelausstellung in der Schweiz. Julika Rudelius zeigt drei Videoarbeiten, wovon die 3-teilige Videoinstallation Tagged (2003), die im Kunsthaus Glarus zum ersten Mal öffentlich gezeigt wird. In Tagged interviewt die Künstlerin türkische und marokkanische Jugendliche, in einem zeitgemäss unpersönlich eingerichteten Hotelzimmer, zum Thema Kleidungsverhalten. Die jungen Männer debattieren nicht nur über die Preise und Designunterschiede der verschiedenen Trendmarken, sondern lassen in ihren Äusserungen auch ihre Ängste und Frustrationen durchdringen. Denn die coole, schicke Kleidung, welche sich die Jugendlichen mit schwer erspartem Geld kaufen, dient in diesem Falle nicht nur als Zeichen für soziale Identifikation einer gewissen Bevölkerungsgruppe, sondern auch als Mittel, um ihren sozialen Status zu verbessern. Teure Markenkleider zu kaufen wird für die jungen Menschen, die oft aus Kulturkreisen stammen, in welchen die kapitalistischen Wertvorstellungen als verwerflich gelten, zu einem Akt der Integration und Assimilation, sowie zu einem Mittel, um sich von der Umwelt gewissen Respekt zu verschaffen (If you look like a bum, they don’t respect you / «Wenn du wie ein Penner aussiehst, respektiert man dich nicht», sagt einer der interviewten Männer). So pendelt diese Kleiderobsession zwischen extremster männlicher – beinahe homoerotischer – Eitelkeit und Ersatzhandlung hin und her, die kulturelle Unterschiede, mangelndes Selbstvertrauen und niederer Sozialstatus zu kaschieren sucht.
Während Julika Rudelius in Tagged den Jungen, durch die Interviewform die Freiheit lässt, alles zu sagen, was sie wollen, handelt es sich bei Train (2001) um eine Re-inszenierung eines Gespräches unter Jugendlichen in einem Zugabteil. Diese sprechen zwar durchaus ihre eigenen Texte, aber die Künstlerin gab ihnen Anweisungen; nämlich sich selbst zu spielen und gleichzeitig zu übertreiben. Das Ergebnis ist ein ziemlich frauenfeindlicher, verbaler Hahnenkampf zwischen den Jungendlichen, die sich mit sexuellen Prahlereien gegenseitig aufstacheln.
Wie oft in Julika Rudelius Arbeiten, seien es Fotografien oder Videos, wird erst auf den 2. Blick entlarvt, dass es sich hier nicht um dokumentarisches Material handelt, sondern um Material das nach klaren Regieanweisungen der Künstlerin gedreht wurde und nach inhaltlichen, sowohl als formalen Kriterien ausgewählt und geschnitten wurde. So ist es der Künstlerin sehr wichtig, dass das Resultat nicht als dokumentarisches Material oder Found Footage gelesen wird, sondern eindeutig als inszenierte und künstlerisch gestaltetes Ergebnis.
In der dritten in Glarus präsentierten Arbeit The highest point (2002) erzählen Frauen sehr offen über ihre sexuellen Praktiken, über ihre Gewohnheiten und Wünsche. Auch wenn Erotik und Sexualität zu unserem mediatisierten Alltag gehören, dem wir uns kaum zu entziehen vermögen, ist die Verbalisierung von Sexualität noch lange nicht enttabuisiert. Gibt es eine Sprache um über Sexualität zu sprechen, die weder pornografisch, noch medizinisch geprägt ist? Julika Rudelius lässt bewusst Frauen über ihre eigene Sexualität sprechen, weil der Blickwinkel auf die weibliche Sexualität und die Art und Weise wie über Sexualität gesprochen wird auch heute noch stark männlich geprägt ist.

KUNSTHAUSGLARUS signum SMALL 14 13 11 12 10 9 8 7 6 5 4 31 2 1