08.09.–18.11.2001

Angela Bulloch Z Point

Seit Ende der achtziger Jahre thematisiert Angela Bulloch mit ihrem Werk, so unterschiedlich die einzelnen Werke aussehen mögen, den Umgang mit und die Projektionen auf die Regelhaftigkeit und Ordnungsstrukturen unserer historischen und aktuellen Lebenssysteme. Parallele Werkgruppen, die sie nicht chronologisch weiterentwickelt, zu Zeiten fallen lässt, um sie zu anderer Gelegenheit wieder aufzugreifen, umfassen Zeichenmaschinen, die auf Bewegung, Druck oder Geräusche des Publikums reagieren, Wandgemälde, Fotoserien, Videoarbeiten, Ton- und Lichtarbeiten, die zuweilen interaktiv sind und in anderen Fällen den Eindruck der Interaktivität nur erwecken und die Rules, Textarbeiten, in der sie die selbst aufgestellten Regeln unterschiedlicher gesellschaftlicher Lebensbereiche aus ihrem Kontext greift, um sie als Vorschriften, die die Überschreitung der Regel in ihrer Formulierung immer schon imaginieren, zum Bild gesellschaftlicher Strukturierungen werden zu lassen. Angela Bullochs Arbeiten sind von einer entindividualisiert - technischen oder durch die jeweils verwendete Technik (Video, Film, Ton- oder Bildtechnik, etc.) geprägten Ästhetik. Ihre Arbeiten benutzen Erscheinungsformen, die wir aus dem Alltag oder den «rezyklierten» historischen Designs der von ihr benutzen Technologien kennen – was Designvorstellungen betrifft findet man sozusagen die gesamte Lebenszeit der Künstlerin, von den sechziger Jahren bis heute (und in die Zukunft).
Zentral in allen Arbeiten ist, das sie die Organisation von Realitäten als Handlungsräume und Systeme von innen erfahrbar macht und gleichzeitig die konstante Änderung der Dinge durch die Projektion von Ideen und Vorstellungen auf objektiv vorhandene Orte, Dinge, Realitäten aufscheinen lässt. Die Wahrnehmung der Strukturen und die Wahrnehmung dieser Wahrnehmung sind der Ort, wo sich die Reorganisation der Realität zu einer Formulierung des Individuellen artikulieren kann.
Die Technik ihrer neuesten Werkgruppe, der Pixelarbeiten, ist zwar schnell erklärt, aber auf der Ebene der Programmierung komplex und aufwendig: Mit Computertechnikern und Designer wurde eigens ein modulares Lichtmischungssystem entwickelt, das mit Leuchtstoffröhren in den drei Bildschirmfarben Rot-Grün-Blau die Mischung von 1,6 Millionen Farben zulässt. Die einzelnen Farbboxen bestehen jeweils aus einer von hinten beleuchteten Glasfläche in einer Box, Leuchtkuben, die die Künstlerin zu Formationen arrangiert, Türme, Bänke, neuerdings ganze Kinoprojektionsflächen. Wie viele der anderen Arbeiten der Künstlerin variiert die Programmierung der Farbmischungen auch hier von der Interaktivität der Installation mit der Bewegung, der Präsenz des Publikums (das Farbmischungen induziert – nicht immer aber die eigene Beeinflussung des Systems auch wahrnehmen kann, da das Manipulations- und Interagitationsmuster sich auf die Gesamtheit der Installation/des Systems bezieht) über Mischformen bis zur unbeeinflussbaren Erscheinungen der Lichtbilder. Angela Bulloch setzt uns in diesen Installationen in Beziehung zur Ästhetik des Bildschirmbildes und sie macht wie mit einem gigantischen Vergrösserungsglas sichtbar, wie digitale Bilder organisiert sind.
Mit der Verbindung der Pixellichtarbeiten mit historischem Filmmaterial potenziert sie das Thema des Sehens und Sichtbarmachens von Bildern. (Und natürlich die Differenz analoger und digitaler Bilder) Wie in anderen Arbeiten auch, agiert Angela Bulloch mit Zitaten oder historischen Elementen wie ein DJ, sie re-organisiert Material, die Ästhetik einer bestimmten historischen Ära und macht ihre Elemente ihrer Wirkungen in übertragener Form sichtbar und verändert erlebbar – die Autorenschaft der Zeit und der Werke wird nicht versteckt, aber auch nicht, dass die Wahrnehmung von Erscheinungen der Wirklichkeit, das Sehen und die Interpretation die Erscheinungen selbst nicht unverändert gelassen hat. Eine definitive Aussage über die Psychologie des wahrnehmenden Subjektes oder eine Interpretation einer irgendwie gearteten psychoanalytischen, gesellschaftstheoretischen Art und Weise wird dabei nicht gegeben, sondern das Wechselspiel und die Dynamik der Beziehungen von Wahrnehmung, Erleben und «Ding» neu zur Disposition gestellt.
Begonnen mit «Blow Up TV (2000), über «Matrix (2001), entstand nun Z Point (2001). Aus allen Filmen wählt sie Szenen, die die zentralen Figuren des Filmes durch ihr Schauen, ihren Blick, aber auch die Art und Weise ihrer Sicht auf reale Orte und ihre Fiktionen, die Orte und Realitäten erst kreieren, auszeichnen. Sei es in «Blow Up», wenn David Hemmings Menschen im Park mit der Kamera nachspioniert, sei es in «Matrix», wenn Keannu Reaves’ Wahrnehmungen wechseln von Traumzuständen zu Realitätserfahrungen, die seine Vorstellung übertreffen und der Erkenntnis, das Realität und Fiktion überlappen können, sei es in Z Point, aus dem die Künstlerin die Szene als Material ausgewählt hat, in der die Imagination der Hauptdarstellerin Daria Halprin das Haus des Immobilienhais Rod Taylor in der Wüste explodieren lässt. Aus acht Minuten Film hat Angela Bulloch jeweils 1 Bild pro Filmsekunde, die aus 24 Bildern aufgebaut ist, herausgegriffen und «pixeliert». Acht Minuten Film sind auf Sekundenbruchteile ihrer Konstruktion «heruntergerechnet», die dem Publikum die letzte Szene aus Michelangelo Antonionis berühmten Film «Zabriskie Point» von 1970 als Farb- und Lichtereignis auf einer kinogrossen Pixelwand aus 48 Kuben neu rhythmisiert in Bild- und Tonkonzentrationen, als gerade noch oder eben ganz anders erahnbares «Bild» zugänglich macht. Zabriskie Points visuelle sechziger Jahre Endzeit Stimmung, die psychedelische Musik von Pink Floyd u.a. lässt die Serie der ausgewählten Kinofilme in der Programmatik der Pixelarbeit logisch erscheinen: Die Realität von Bildern, die in allen der drei Filme das Bild als Verschränkung von Realität und Fiktion im fiktionalen Medium des Filmes thematisieren, wird in einem weiteren Sinne «interaktiv» im Werk der Künstlerin – sie betreffen die Seh- und Erinnerungsleistung des Publikums. Welche Informationen welche Bedeutung produzieren können, welche Informationen Erinnerungen hervorrufen, und welche Projektionen der Betrachterinnen und Betrachter auf die Bildwelten Erkennen ermöglichen, sind Elemente dieser neuen Handlungsräume.

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